Schami: "Erwarten Sie nicht, dass ich ein Buch raushol"

Eine Stadt Buch Rafik
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"Eine Hand voll Sterne" von Rafik Schami wird ab heute in Wien verteilt. Aber den Syrer muss man auch gehört haben. Und sei's nur im Interview über seine kolossale Karriere in Deutschland - und den Krieg.

Ihr Romanheld macht eine „Sockenzeitung“, so klein, dass man sie in der Socke verstecken kann. Haben Sie das als Bub auch gemacht?

Rafik Schami: Das war eine andere Gruppe, und wir haben sie beneidet! Unsere sozialistischen Flugblätter waren lebensgefährlich und zum Wegrennen langweilig. Ich wundere mich, dass der Geheimdienst uns verfolgt hat.

Ihr Vater wurde gefoltert. Wo ist der Unterschied von damals zur Assad-Herrschaft?

Verglichen mit Assad war das eine Limonaden-Zeit. Kein Herrscher warf Raketen auf die eigenen Städte. Folter hörte bei Frauen und Kindern auf, Herr Assad foltert Kinder. Ich kenne die Stadt Daraia, die wieder bombardiert worden ist, sie ist berühmt für ihre unnachahmlichen Trauben. Die ersten Aufstände dort führte ein friedlicher junger Mann an, Giath Matar. Er sagte, wir geben den Soldaten Blumen und Wasser, wie in Portugal. Und die Soldaten schossen nicht. Die Assad-Leute fassten ihn und brachten ihn nach drei Tagen mit durchgeschnittener Kehle, übersät von Messerstichen zurück.

Sie sind Christ. Immer wieder wurde berichtet, viele Christen stünden hinter Assad, sie hätten Angst, von den Islamisten vernichtet zu werden.

Assad schürt die Angst und bewaffnet Christen. Und wer macht mit, während der Papst die Rebellen unterstützt? Die Führung der Kirche! Das ist eine Schande. Dauernd redet man in Europa von Christen und Alewiten, aber 99 Prozent der Toten sind Sunniten! Als Syrer bin ich moralisch verantwortlich für jeden Unschuldigen, der fehlt. Die große Gefahr ist, dass der Bürgerkrieg lange dauert und die Kluft immer größer wird. Dann werden aber nicht nur die Christen, sondern alle Gruppen der Gesellschaft gefährdet.

Können Islamisten die Oberhand kriegen?

Syrien hat 40 Prozent Minderheiten. Und unter den 60 Prozent Sunniten wird der Salafist zwar Fuß fassen, aber nur bei 10 bis 15 Prozent der Bevölkerung. Die Mehrheit der Sunniten sind städtisches Bürgertum, treiben Import und Export, schicken die Kinder in christliche Schulen und sagen: Scharia? Ich will meinen Rotwein trinken!

Was muss der Westen am dringendsten tun?

Die Flüchtlinge schützen. Es sind 250.000 Syrer, und der Winter rückt näher. Westeuropa muss die reichen arabischen Staaten unter Druck setzen. Und es darf nicht die Hände in den Schoß legen und sagen: O weh, die Saudis unterstützen die Fundamentalisten! Es gibt eine zivile Fraktion, die gehört gestärkt. Der Westen ist kein Schwächling, er hat Macht! Und es gibt ein syrisches Bürgertum, Industrielle, die sich mit dem Westen verbunden fühlen. Denen muss man sagen, dass sie eine Rolle spielen müssen in ihrem Land und nicht warten dürfen, dass alles vom Ausland kommt.

Seit Beginn der Kämpfe, also seit eineinhalb Jahren, haben Sie nicht mehr geschrieben ...

Doch, heute auf dem Weg nach Wien, weil ich so glücklich war, habe ich eine kleine Kindergeschichte geschrieben. Zum ersten Mal wieder! Seit März 2011 habe ich über 100 Interviews gemacht, alles zu Syrien, aber jedes Mal wenn ich schreiben wollte, kamen Bilder, von toten Kindern ... Ich mache Hintergrundarbeit wie den Verein zum Schutz der syrischen Kinder, das alles braucht wahnsinnig viel Kraft. Und ich informiere mich jeden Tag, fast wie ein Hysteriker.

Wie entgehen Sie den Lügen von allen Seiten?

Ich versuche mich durch ständiges Vergleichen zu schützen, ohne Gewähr. Ich habe Informationen von einem Rebellen-Informanten einem deutschen Journalisten weitergegeben, der mir vertraut, am nächsten Tag merkte ich, das war eine Lüge, aber es war schon gedruckt. Das tut mir dermaßen weh. Bleibt doch bei der Wahrheit, macht es nicht wie eure Gegner!

Wie haben Sie die deutsche Leserschaft erobert?

Zwei Faktoren, die gegen mich sprachen, haben später für mich gewirkt. Das eine war, dass ich als Fremder in der Sprache des Landes erzählt habe. Auf Arabisch hätte ich viel leichter erzählt, vieles wirkt auch kitschig, wenn man es eins zu eins übersetzt. Später erntete ich dafür Bewunderung, als hätte ich das achte Weltwunder erschaffen. Die zweite Sache, die mir half, ist mein mündlicher Vortrag. Anfangs hieß es ironisch „Der Märchenonkel“, ich habe mich nicht irritieren lassen. Auch hier in Wien sage ich dem Publikum, erwarten Sie nicht, dass ich ein Buch raushole, lehnen Sie sich zurück, die Lesung hat längst angefangen!

Eine Literatur, die nicht an Formulierungen klammert, ist immer noch ungewohnt.

Aber mit Lagerfeuer-Romantik hat das nichts zu tun. Ich verlange von meiner mündlichen Kultur, dass sie perfekt ist. Manch einer wird zum Plauderer, das ist eine Gefahr.

Wie entstehen Ihre Geschichten?

Ich schreibe einen Entwurf, den fange ich an zu erzählen, unter Freunden, in Lesungen. Dabei merke ich, was zu ändern ist, schreibe die Neuerungen auf, und so kommt die Erzählung eine Stufe weiter, und beim nächsten Erzählen wieder. Wenn ich merke, das ist die Geschichte, lege ich sie fest. Da sitzt sie dann schon ganz fest in meinem Kopf. Auswendig lernen ist für Anfänger, ich muss nur mit der Geschichte leben, sie verinnerlichen. Wenn ich eine Formulierung vergesse, finde ich eine andere poetische Brücke.

Lassen Sie sich bei der Entwicklung einer Geschichte auch von Publikums-Reaktionen leiten?

Nein, im Gegenteil. Ich liebe mein Publikum, aber ich misstraue seinen Reaktionen. Wenn Sie dem Publikumsgeschmack folgen statt der Notwendigkeit der Geschichte, wird es irgendwie quassliger, schaumiger.

Findet Ihre mündliche Literaturform Widerhall bei deutschsprachigen Autoren?

Ja! In Deutschland sind meine Lesungen ausverkauft, das spricht sich herum. Jetzt gibt es mehrere Autoren wie Roger Willemsen, die frei erzählen, vor einigen Jahren war das undenkbar. Das ist meine kleine Entwicklungshilfe (lacht) ... Umgekehrt habe ich viel von deutschen Autoren gelernt, Präzision, Reduzierung der Adjektive ...

Angenommen, Sie könnten nach 40 Jahren Ihre Heimatstadt Damaskus wiedersehen. Wo würden Sie als Erstes hingehen?

In meine Gasse. Da werde ich mit meinem Sohn Murmeln spielen. Jetzt ist er schon Student. Aber das habe ich geschworen.

Perfektionist der Mündlichkeit

In Damaskus 1946 geboren, floh der junge Rafik Schami nach Deutschland und wurde dort zu einem der beliebtesten Erzähler. Gerühmt wurde etwa sein Roman „Die dunkle Seite der Liebe“ (2004). „Eine Hand voll Sterne“ erschien 1987.

Am Freitag, 19 Uhr, liest Schami in der Fernwärme Wien. Infos: einestadteinbuch.at.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.11.2012)

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