Handke: „Äußern uns durch nichts als durch Worte“

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Peter Handke ist 70. „Reizwörter sind Traumwörter“, schrieb er in einem frühen Gedicht. Eine Geburtstagsbastelei aus Zitaten mit Reizwörtern aus Handke-Werken.

„Du hast immer nur Angst, Angst, Angst“, hat gestern ein Kind zu mir gesagt, und es sagte das ziemlich gelangweilt... Wann habe ich eigentlich keine Angst? Sehr oft, meistens; aber wenn ich dann Angst habe, kommt wieder das Gefühl, dass jetzt ich gemeint bin und dass jetzt das Leben anfängt. (Eine Zwischenbemerkung über die Angst, 1974)


Und heute noch dachte er, das Anfänger-Schallen der Beatles im Ohr, aus jener von Parkbänken umstandenen Wurlitzer: Wann würde je wieder solch eine Anmut in die Welt treten? (Versuch über die Jukebox, 1990)


Zlatko B. war Stammgast in einem Lokal der stadtauswärts führenden Schallmooser Hauptstraße, wohin ich auch öfter ging, auch wegen der altväterischen, immer laut eingestellten Jukebox und ihrer nie ausgewechselten Creedence-Clearwater-Revival-Songs, „Have You Ever Seen the Rain?“, „Looking out the Back Door“, „Lodi“. (Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina, 1996)


In den sporadischen Dörfern, weitab ein jedes vom andern, war kaum jemand im Freien anzutreffen. Beim Blick durch ein Fenster einmal dort eine Greisin, reglos auf ihr Gehgestell gestützt. (Versuch über den Stillen Ort, 2012)


Es lebe die Erzählung. Die Erzählung muss weitergehen. Die Sonne der Erzählung, sie stehe für immer über dem erst mit dem letzten Lebenshauch zerstörbaren neunten Land. (Die Wiederholung, 1986)

Morgens im Bus werden die Melodien des gestrigen Fernsehprogramms nachgepfiffen (Das Gewicht der Welt, 1977)

Natürlich: Das Gehen, selbst das Gehen im Herzland, wird eines Tages nicht mehr sein können, oder auch nicht mehr wirken. Doch dann wird die Erzählung da sein und das Gehen wiederholen! (Die Wiederholung, 1986)


Zwei Sätze fielen mir ein, die ich immer von Neuem zusammensuchte, während ich zum Hotel zurückging: „I say goodbye to Colorado – it's so nice to walk in California.“ (Der kurze Brief zum langen Abschied, 1972)


Ich litt in meiner Metropole – und mir kam vor, in New York oder gar in Rom wäre das noch ärger gewesen – zunehmend an etwas, das mich schon in der Jugend, seit der Internatszeit, bedrohte: an Ortsschwund, oder Raumentzug. (Der Prophet von Porchefontaine, ursprünglich, bevor er, von Vorort zu Vorort bankrottierend, Gastwirt wurde, gelernter Philosoph, hat dafür das Wort „Entdinglichung“.) (Mein Jahr in der Niemandsbucht, 1994)


Bis vor wenigen Jahren habe ich fast immer nur zu Boden geschaut. Wenn ich etwas lese, was ich ganz früh geschrieben habe, habe ich das Gefühl von einem Menschen mit gesenktem Blick, so viel auf der Erde Liegendes kommt darin vor, und so viel Kleines. (Die offenen Geheimnisse der Technokratie, 1973)


Das Klima in dieser Gegend schwankt sehr: kalte Winter und schwüle Sommer, aber bei Sonnenuntergang oder auch nur im Laubschatten fing man zu frösteln an. (Wunschloses Unglück, 1972)


Am Tag ging sie draußen auf einer geraden Straße in einer ebenen, baumlosen, zugefrorenen Landschaft. Sie ging immer weiter, immer geradeaus. Sie ging noch so, als es schon dunkel wurde. (Die linkshändige Frau, 1976)

Seit ich mich erinnern kann, ekle ich mich vor der Macht, und dieser Ekel ist nichts Moralisches, er ist kreatürlich, eine Eigenschaft jeder einzelnen Körperzelle. (Die Geborgenheit unter der Schädeldecke, Text zum Büchnerpreis, 1973)
Noch immer wache ich in der Nacht manchmal schlagartig auf, wie von innen her mit einem ganz leichten Anstupfen aus dem Schlaf gestoßen, und erlebe, wie ich bei angehaltenem Atem von einer Sekunde zur anderen leibhaftig verfaule. (Wunschloses Unglück, 1972)

Dass vor dem Mord eine scheinbare Ordnung gezeigt wurde, ist nur die List der Mordgeschichte gewesen. Diese Ordnung erschien nur jemandem, der dazukam, als Ordnung. (Der Hausierer, 1967)

Kommst du jetzt mit dem Poetischen? Ja, wenn dieses als das gerade Gegenteil verstanden wird vom Nebulösen. (Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina, 1996)

Was ich nicht fotografieren wollte: die Mütter mit dem Kinderwagen, die Büroangestellten auf dem Weg zum QUICK FOOD, die malerischen Überreste von kleinen alten Häusern im Vordergrund mit den Türmen im Hintergrund... (Die Reise nach la défense, 1974)

Endlich nur noch das Liegen. Die Ruhe, es gab sie. (Nachmittag eines Schriftstellers, 1987)


Das Wort sei gewagt: Ich bin, mich bemühend um die Formen für meine Wahrheit, auf Schönheit aus – auf die erschütternde Schönheit, auf Erschütterung durch Schönheit, ja, auf Klassisches, Universales, das, nach der Praxis-Lehre der großen Maler, erst in der steten Natur-Betrachtung und -Versenkung Form gewinnt. (Rede zur Verleihung des Franz-Kafka-Preises, 1979)

Einmal hatte Sorger die Idee von einem geglückten Tag gehabt: an einem solchen müsste allein die Tatsache, dass es morgen und Abend, hell und dunkel würde, Schönheit genug sein. (Langsame Heimkehr, 1979)

Die Literatur ist unwirklich, unrealistisch. Auch die sogenannte engagierte Literatur, obwohl gerade sie sich als realistisch bezeichnet, ist unrealistisch, romantisch. (Die Literatur ist romantisch, 1966)


Das Kind schreit jetzt jenes äußerste Erleiden heraus, welches beim Erwachsenen innerste Verstummung wird; wenn jeder Leidende derart schriee, müsste die Welt dann nicht längst aus der Bahn getrudelt sein? Und naturgemäß wird auch dieses Kind da mit der Zeit irgendwie verstummen müssen. (Es ist schon verstummt.) (Der Chinese des Schmerzes, 1983)

Ich wurde wütend; dann verging die Wut, und ein Grausen wurde so stark, dass die Gegenstände im Zimmer mit Fledermausflügeln zu flattern schienen. (Der kurze Brief zum langen Abschied, 1972)

Kanashikute Yarikirenai (Unbearable Sad) – Folk Crusade (Die japanische Hitparade vom 25.Mai 1968, 1968)

Als der Schriftsteller endlich den Blick von der Zeitung löste, hatte er ein heftiges Gefühl des Versäumnisses. (Nachmittag eines Schriftstellers, 1987)


Ausgesucht von Thomas Kramar. Der Titel ist ein Satz aus der „Publikumsbeschimpfung“.

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Stationen eines Lebens

Geboren am 6. 12. 1942 in Griffen, Kärnten. Von 1945 bis 1948 in Berlin. 1948–1952: Volksschule. 1952–1954: Hauptschule Griffen. 1954–1959: Internat Tanzenberg. 1959–1961: Gymnasium Klagenfurt. 1961–1965: Jusstudium in Graz. Von 1966 bis 1968 in Düsseldorf. Von 1968 bis 1970 in Berlin. 1970 an einem Waldrand bei Kronberg im Taunus. Von 1971 bis 1978 in Paris. Von 1979 bis 1987 in Salzburg. Von 1987 bis 1990 auf Weltreise. Seit 1990 in Chaville, südwestlich von Paris.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.12.2012)

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