"Winterpalast": Die Spionin der Zarin

Winterpalast Spionin Zarin
Winterpalast Spionin Zarin(c) Insel Taschenbuch
  • Drucken

Eva Stachniak hat mit dem "Winterpalast" einen wunderbaren Roman geschrieben. Besonders beeindruckend ist ihr Sittenbild des Zarenhofs, bevor Katharina die Große wurde.

Vor Kurzem noch waren historische Romane etwas, um das um ihren guten Ruf besorgte Leser einen großen Bogen machten. Das hat sich geändert, nicht zuletzt, seit die englische Autorin Hilary Mantel für ihre Tudor-Romane „Wölfe“ und „Falken“ gleich zwei Mal den renommierten „Booker Prize“ abgeräumt hat. Seither greift man schon auch einmal leichten Herzens zu einem Buch wie dem „Winterpalast“, selbst wenn dessen Aufmachung ein wenig klischeehaft daherkommt.

Und man wird belohnt. Denn der Roman der in Polen geborenen und in Kanada lebenden Literaturdozentin Eva Stachniak ist ein wunderbar geschriebenes, fesselndes Sittenbild vom russischen Zarenhof, zur Zeit Kaiserin Elisabeths, der einzigen überlebenden Tochter Peters des Großen. Elisabeth kam mithilfe eines Staatsstreichs an die Macht, war jedoch selbst unverheiratet und kinderlos. Um die Erbfolge zu sichern, holte sie ihren kränklichen Neffen Peter Fjodorowitsch aus dem Ausland an den Zarenhof und verfügte, dass er eine weitgehend unbekannte deutsche Adelige heiraten sollte: Sophie von Anhalt-Zerbst, der Welt später bekannt als Katharina die Große.


Alle Wände haben Ohren. Die Ankunft der mageren, schüchternen Sophie im feindseligen Russland nimmt Eva Stachniak als Ausgangspunkt, um ein lebendiges Porträt des russischen Zarenhofs zu schreiben, wie man es noch selten gelesen hat. Der Winterpalast in Sankt Petersburg ist ein Ort, an dem man nie allein ist, in dem alle Wände Ohren und alle Türen Gucklöcher haben, in dem hunderte Spione miteinander um die wankelmütige Gunst ihrer Herren wetteifern, wo bei Kerzenschein Geschichten erzählt werden, die bei Tageslicht katastrophale Folgen für die Objekte der bösen Nachrede haben können.

Solch eine „Zunge“ ist auch die Hauptfigur und Erzählerin des Romans, die polnische Waise Barbara, genannt Warwara. Sie kommt nach dem Tod ihrer Eltern als Mündel der Kaiserin an den Zarenhof. Um ihre Position in der ihr gleichgültig bis böse gesinnten Umgebung zu verbessern, wird Warwara eine Spionin, die ihr Handwerk von Elisabeths durchtriebenem Kanzler Bestuschew lernt, einem Meister seines Fachs. Wie kein anderer beherrscht Bestuschew die Kunst, seine Feinde auszutricksen und in fliegendem Ritt die Allianzen zu wechseln. Bald wird das Mädchen die Lieblingsinformantin der Kaiserin, die sie auf Sophie ansetzt und Warwara anhält, sich mit der jungen deutschen Adeligen anzufreunden.

Aus Pflicht wird bald Neigung, und zwischen Warwara und Sophie entsteht eine Freundschaft an einem Ort, an dem sie beide Fremdkörper sind und an dem sie niemandem außer einander trauen können. Sophie notiert die drei Punkte, die ihr Überleben am Zarenhof sichern sollen: „der Kaiserin zu gefallen, dem Großfürsten zu gefallen und dem russischen Volk zu gefallen“. Ihrer Freundin Warwara schenkt sie ein Stück Bernstein, in dem zwei Bienen eingeschlossen sind.

Eva Stachniak schafft es, die Geschichte der beiden Frauen weitgehend ohne Gefühlsduselei zu erzählen. Sicher, es wird immer wieder geseufzt, die Emotionen gehen gern hoch. Das hat allerdings weniger mit dem Stil als mit dem Sujet zu tun, mit einer Atmosphäre, in der Hysterien, leicht entflammbare Liebe und gnadenlose Zornesausbrüche nie weit voneinander entfernt sind. Stachniak schlägt einen Schreibton an, der den Leser von der ersten Seite an packt, und malt die Atmosphäre des Zarenhofs anschaulich aus, seine Gerüche, seine Geschmäcker, seinen Aberglauben und seine Sucht nach neuen Moden, seine unvorstellbare Opulenz: War Kaiserin Elisabeth kalt, ließ sie 20 Männer ihrer Leibgarde antreten, um ihr Schlafzimmer mit dem Atem (und nicht nur damit) zu wärmen. Kein Wunder, dass Russland am Ende ihrer Regentschaft bankrott war.

Überraschungserfolg in Kanada. „Der Winterpalast“ wurde in Stachniaks Wahlheimat Kanada zum Überraschungserfolg. Die Autorin erhielt bereits für ihren ersten Roman, „Necessary Lies“, im Jahr 2000 den Canada First Novel Award.

Neu Erschienen

Eva Stachniak:
„Der Winterpalast“


Übersetzt von
Peter Knecht,
Insel Taschenbuch, 530 Seiten,

15,50 Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.01.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.