Jungautor Kaiser-Mühlecker: „Ich bin längst ganz woanders“

(c) Die Presse (Teresa Zötl)
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Es ist das meistbeachtete österreichische Debüt des Frühjahrs: Reinhard Kaiser-Mühlecker über seinen Eheroman „Der lange Gang über die Stationen“.

Darf ein 23-Jähriger schreiben, als wäre er beim alternden Hanke in die Schule des Sehens gegangen, ja mehr noch, im tiefsten 19.Jahrhundert, bei Adalbert Stifter? Kann „echt“, „authentisch“ sein, was so altertümlich, so aus der Zeit gefallen scheint?

Die Art und Weise, wie Reinhard Kaiser-Mühlecker von einem Bauern im Oberösterreich der 1950er-Jahre erzählt, der eine junge Frau aus der Stadt heiratet, nur um sie allmählich wieder zu verlieren, hat schon viel Erstaunen ausgelöst, vor allem berührten Jubel, etwa in Deutschland oder beim Autor Erich Hackl – aber auch mancherorts befremdetes Kopfschütteln (siehe auch die „Presse“-Rezension morgen, Samstag, im „Spectrum“).

Auf einem oberösterreichischen Bauernhof zwischen Gmunden und Wels ist der heute 25-Jährige (das Buch schrieb er im Winter vor zwei Jahren) aufgewachsen, heute lebt er in Wien. Auch im Reden wirkt er, trotz Flinserl und abenteuerlich gescheitelten Haars, ein bisschen wie „aus der Zeit gefallen“ – in eine andere, wo es unglaublich viel davon gibt, man unendlich langsam sprechen kann – und schweigen, bei jeder Pause fragt man sich, ob da noch etwas nachkommen wird... Immer wieder klingt er wie Handke: dabei aber vollkommen natürlich, kein bisschen aufgesetzt.

„Stifter lesen hat mich zerkracht“

„Irgendwie muss ich mich annähern an das Jetzt, möglichst langsam, um das Ganze zu verstehen. Da bin ich grad“, sagt er. Und: „Ich hab' das so geschrieben, weil es sein musste.“ Er habe davor andere Texte verfasst, „mit denen ich todunglücklich war, auch eine Großstadtgeschichte. Irgendwann hab' ich mir gedacht, du musst von vorne anfangen. Ohne dass ich gewusst hätte, wo vorne ist. Jedenfalls hab' ich versucht, meine Wurzeln zu finden. Inzwischen hab' ich stilistisch ganz andere Dinge gemacht. Ich will mich auch nicht am Landthema abarbeiten, bin schon längst ganz woanders.“

Der Gegensatz zwischen Stadt und Land in seiner Ehegeschichte ist dem Autor gar nicht so wichtig. „Es war eher die Frage, wie es möglich ist, dass zwei Personen einander eine Weile lang ganz gern haben, sich sozusagen blind verstehen, und dann plötzlich gar nicht mehr. Das war mir oft und ist mir immer noch nicht ganz verständlich.“

Außerdem sei das Schreiben auch sein „Was-wäre-Wenn“: „Vielleicht würde es stimmen, wenn ich sagte, dass dieser Bauer Theodor eine Möglichkeitsform von mir ist. Vielleicht nämlich, wenn man nie hinauskommt – trägt man gar keine Schuld, ist es gar nicht verwunderlich, dass sich der Horizont nicht weiter öffnet...“

Jeder umständliche Satz, jeder Blick verrät den in sich versponnenen Einzelgänger. „In Gruppen zu sein, das hab ich nie gut ausgehalten“, erzählt er. „Ich bin ja ein sehr einsamer Mensch, noch einsamer dadurch, dass es anscheinend keine Jüngeren gibt, die mir im Schreiben nahe wären.“ Ältere schon, auch etliche Österreicher, Handke, Norbert Gstrein, Wolfgang Hermann („mein großer Mentor“), Franz Tumler.

Und Stifter? „Ich habe Stifter erst gelesen, nachdem ich das schon geschrieben habe. Das hat mich dann sehr gewundert, gefreut – und auch irgendwie zerkracht. Ich hab' mir gedacht, wenn du das schon vorher gelesen hättest, da hättest du dir Arbeit gespart. Was willst du denn jetzt noch – Stifter hat ja alles längst gesagt!“

DER ROMAN UND SEIN AUTOR

Von einer langsam wie von selbst zerfallenden Ehe zwischen zwei Menschen erzählt „Der lange Gang über die Stationen“, von der Suche nach dem Glück und dem Entgleiten der Dinge. Erschienen bei Hoffmann und Campe, geb., 157 S., Euro 17,50.

Vor diesem Buch hat Reinhard Kaiser-Mühlecker drei Beiträge in Literaturzeitschriften veröffentlicht. Der Vorarlberger Autor Wolfgang Hermann brachte ihn nach Deutschland, wo Arnold Stadler auf ihn aufmerksam wurde. 2007 wurde das Buch mit dem Jürgen-Ponto-Literaturpreis ausgezeichnet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.02.2008)

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