Plädoyer: Für die Alte Schmiede als Bleibe

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Die Wiener Städtische Versicherung möchte ein altes Haus im Ersten Bezirk, in der Schönlaterngasse 9 verkaufen. Es ist die sogenannte „Alte Schmiede“.

Die Wiener Städtische Versicherung ist ein stolzes Unternehmen. Es expandiert in den Osten, findet neue Partner und vergrößert seine Kundschaft, die ihr vertrauen. Wie jedem Unternehmen, das floriert und für seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sorgt und sich als stabilisierender Faktor in einer Gesellschaft positioniert, gebührt ihm dieser Stolz. Nicht zuletzt, wenn so ein Unternehmen Verantwortung für unsere Gesellschaft übernimmt, indem es seine Aufgabe darin sieht, mit allem, womit es zu tun hat und wofür es Verantwortung übernommen hat, auch sorgsam umzugehen. Und so für das, was in und um dieses Unternehmen wächst, möglichst große Sicherheit bietet.

Der Verkauf, ein grundsätzlich legitimer Vorgang, kommt im konkreten Fall jedoch einer Zerstörung gleich mehrerer sozialer Gefüge gleich, die in dem Haus beherbergt sind und die vom Kunstverein Wien als Musikwerkstatt und als Literarisches Quartier geleitet werden. Warum die Stadt und die Autorinnen und Autoren nicht nur dieser Stadt dieses Haus und diesen Ort dringend brauchen, und weshalb ich die Verantwortlichen in Politik und in der Wiener Städtischen dazu aufordern möchte, einer gleichgültigen und sorglosen Beseitigung dieses weitverzweigten Gewächses zu wehren, möchte ich hier erläutern.

Seit nunmehr 31 Jahren hat Kurt Neumann, der Leiter der Alten Schmiede, dieses Haus nicht nur zu einem der geliebtesten literarischen Veranstaltungshäuser gemacht, sondern auch zu einem der lebendigsten und produktivsten. Es ist schier als ein unvergleichliches Ereignis zu bezeichnen, dass dies über so viele Jahre möglich ist und nicht zuletzt seinem Leiter und seinen engagierten Mitarbeiterinnen zu danken. Dabei ist diese Alte Schmiede vor allem eines: ein unscheinbarer Ort, der unterhalb der Oberfläche der Vermarktungsphantasmen wirkt und nachhaltig wirkt, wie man das so gerne in der Politik von etwaigen Maßnahmen behauptet. Die Alte Schmiede ist ein Beispiel für Nachhaltigkeit. Ihre Arbeit ist nahezu gleichzusetzen mit Nachhaltigkeit. Die darüber hinaus eine allen Menschen, allen Bürgerinnen und Bürgern offene Arbeit mit Literatur ist, die von Seiten der Autorinnen und Autoren, von Seiten der Besucherinnen und Besucher, von Seiten der Wissenschaften in wechselseitigem Austausch kontinuierlich geleistet wird. Es ist also eine Arbeit für und von Professionellen und für und von Laien. Und die Alte Schmiede somit beides, populär und elitär, extensiv und intensiv. So dass sie zum Inbegriff dessen werden konnte, was sich Universitäten und anderen Institutionen gerne auf ihre Fahnen heften, ohne so leicht die ihnen eingeschriebenen Schwellen zu überwinden.
Vor allem ist die Alte Schmiede dabei tief verbunden mit dem lokalen Literaturleben. Jeder Autor, jede Autorin kennt die Alte Schmiede und liest hier gerne, weil er sich an diesem Ort vor Nachlässigkeit und Ignoranz, vor jeder Art der Ungenauigkeit im zwischenmenschlichen und professionellen Umgang bewahrt weiß. Denn die Alte Schmiede und ihr Kurt Neumann liest eben auch die Werke, die hier zur Geltung kommen sollen, die hier besprochen, diskutiert werden, und die Konzepte der Veranstaltungen sind dieser Grundhaltung entsprechend konzise, überlegt und gemeinschaftlich besprochen. Und in ihrer Feinmechanik auf die verschiedenen Faktoren abgestimmt, auf Raum, persönliche Lebensumstände, auf intellektuelle Profile und künstlerischen Eigensinn. Die Vereinbarungen sind klar und verbindlich. Die Bezahlung ist ehrlich und autoren- bzw. autorinnenorientiert. Denn im Fokus der Alte Schmiede steht die Arbeit, der Text, die Sprache, die Autorinnen und Autoren, das Gemeinschaftliche, das Forschen, die Neugier. Die Alte Schmiede ist somit zu einem Ort der literarischen und nicht nur der literarischen Sozialisation für viele Menschen geworden. Man könnte sie als eine Art geheime und gleichzeitig offene Universität oder allgemeiner als Bildungsinstitution bezeichnen, genauso wie als einen Abendtisch der Literatur, an dem sich Menschen und Literaturinteressierte einfach austauschen. Als ein quirlender, sprechender Ort mithin, der sich permanent neu erfindet, ohne seine Grundhaltung neu erfinden zu müssen. Die Alte Schmiede ist bei all seiner Verwurzelung mit Wien und seinen Bürgern aber gleichzeitig international ausgerichtet, indem sie Gäste aus aller Welt in diese Stadt lockt und mit ihnen Verbindungen eingeht, intellektuelle und auch freundschaftliche, die über Jahrzehnte bestehen. Seit 30 Jahren kommen diese Gäste auch immer wieder und loben die Alte Schmiede als einen Ort, in dem man sich um ihr Wohl kümmert und mit ihnen, und das ist das Wesentliche, immer wieder von neuem auch die Auseinandersetzung sucht und pflegt. Aus diesem gemeinsamen Dritten, das zwischen den Menschen und ihren Zeilen entsteht, könnte man vielleicht sagen, besteht der Stoff aus dem die Alte Schmiede gemacht ist. Das lebendige Wort, der kritische Gedanke, die freundschaftliche Emphase kann man als wesentliche Bestandteile dieses Stoffes extrahieren, ohne ihn aber so noch ganz erfasst zu haben. Zu ihm gehört eben auch der Ort selbst, die Alte Schmiede. Das Haus, in dem sich im Keller tatsächlich und wie der Name sagt, noch eine Alte Schmiede birgt und zeigt. Es ist eine der ältesten Europas. Es ist eine der schönsten. Mit alten Hämmern und Zangen.


Fast will man nicht glauben, dass das Zufall sein kann. Erzählt doch diese Alte Schmiede auf ihre Weise vom Machen, vom Werken an einem Stoff. In jenem Fall vom Eisen, in diesem vom Sprachstoff, in dem wir uns alle bewegen, den wir alle täglich in unseren Mündern formen, verändern, tradieren und auch neu erfinden, mit Leben behauchen. Seit Anfang des Jahres ist diese Alte Schmiede im Untergeschoss Teil des sogenannten Galerie der Literaturzeitschriften. Einem weiteren, einzigartigen Projekt, das der sich besonders um das Haus und dessen Umbau engagierende Direktor Walter Famler gemeinsam mit Kurt Neumann iniziiert hat. Darin werden österreichische und ausländische Literaturzeitschriften gesammelt und liegen zur freien Lektüre auf. Unentgeltlich. Wie dies auch der Besuch der Alten Schmiede ist. Der Zeitschriftenleseraum ist ein Projekt, das also gerade erst seine Eröffnung erfahren hat und sich zu etablieren beginnt. Ein zarte Pflanze mithin, die nun wieder auszureißen, undenkbar absurd anmutet. Wie vor allem und in ganz grundlegender Weise die Vorstellung, der Geschichte der Alten Schmiede als Literaturveranstaltungsort nun ein Ende durch einen simplen Verkauf setzen zu wollen.
Es ist ein Ort, den alle die Gäste wiederfinden würden, weil die Flexibilität des Gedankens, gleichsam als Gegengewicht Kontinuität braucht. Das Haus der Alten Schmiede steht für diese Kontinuität ein. Es ist jener Ort, der seine Aura, seine Atmosphäre über die Jahre entwickelt hat. Es ist etwas Unauslöschbares daran. Unauslöschbar, was hier gewachsen ist, heißt aber nicht unzerstörbar. Nach Jahrtausenden ist auch an anderen historischen Stätten die Energien der Geschichte, die Aura der Orte noch vorhanden. Denn sie ist menschengemacht. Die Zerstörung eines solchen Ortes, der sorglose Verkauf, käme einer elementaren Entwurzelung gleich, einer Gewalt, die sich über das Gewachsene, über die unendlich vielen, unsichtbaren Fäden menschlichen Zusammenhalts hinwegsetzt. Die Alte Schmiede ist aus diesem Grund nicht dislozierbar. Die Alte Schmiede ist ein Begriff geworden. Ein Teil der Stadt. Teil des Bewusstseins und des Unbewussten dieser Stadt. Ein Kraftzentrum. Weil ein Produktionszentrum. Sie steht für ein Programm, das durch eine Sensibilität gekennzeichnet ist, wie kaum ein anderer Ort. Dieses Sensibilität gilt in erster Linie dem Wort, auf das man hören muss, um es zu vernehmen. Es gilt den Menschen, die sich mit diesen Worten auseinandersetzen, als Menschen und für die Menschen. Der Dichter Ernst Jandl, häufiger Besucher und Lesender in der Alten Schmiede schrieb einmal: „Sprache ist von uns gemacht, und wir können, dürfen, sollen alles mit ihr machen, was mit ihr zu machen möglich ist – ohne Scheu, ohne Ehrfurcht, doch dafür mit Freude, Liebe, Heiterkeit.“ Das könnte auch für die Alte Schmiede gelten, als ihr humanistisches Programm. Ein Projekt jenseits der Angstschüre, kein bewahrendes, konservatives Programm von Literatur, sondern eines, das sich über seine Verbindungen, seine Verbindlichkeit, seinen Einsatz definiert und deshalb gar nicht definieren braucht. Was die Alte Schmiede ist und kann, äußert sie von selbst. Selbst ein emphatischer Aufsatz wie dieser, trifft nur einen Zipfel von dem, was sie macht, indem sie der Literatur dieser Stadt einen Ort gibt, ohne sie auf diesen festzuschreiben. Gerade weil das so ist, weil sie selbst den Ort nicht in den Mittelpunkt stellt, ist dieser so schützens- und bewahrenswert. Es braucht unter Besucherinnen und Besuchern, unter Autorinnen und Autoren nicht der Versicherung, um das glaubwürdig zu machen. Keiner würde es argumentieren wollen. Das die Absurdität dieses Artikels. Denn was die Alte Schmiede ist, ist Selbstverständlichkeit. Selbstverständlichkeit ist aber nichts, was einfach nur da ist, weil es da ist. Kein tautologisches etwas. Sondern etwas, das täglich von neuem hergestellt wird. Für das Existenzen einstehen, sich ihm widmen, es wollen, wünschen, ihre Fantasien durch es und mit ihm anregen lassen. Dieser Art von Selbstverständlichkeit ist diese Alte Schmiede in einer Stadtgesellschaft, die wie jede Gesellschaft durch Desolidarisierung, Gier und Neid bedroht ist. Was immer die Motive für den Verkauf sein mögen, sie können sich nicht aufwiegen lassen mit dem, was so ein Verkauf zerstören würde. Die tausenden Veranstaltung, Symposien, Autorinnen und Autoren-Projekte usw., die hier in den letzten 30 Jahren stattgefunden haben, die unzähligen Buchprojekte, die aus den Veranstaltungen hervorgegangen sind, der kontinuierliche Besuch so vieler Intellektueller, Bürgerinnen und Bürger wären auf der Seite der Zahlen und Fakten anzuschreiben, und sind doch  nur ein Teil von dem, was diesen Ort zu dem macht, was er ist. Ein Ort der Sozialisation, der Alphabetisierung in einem anderen, sehr feinen, filigranen und darum menschenwürdigen Sinn. Ein Ort, an dem sich jenseits äußerlichen Wollens, dem Entstehen von Sprache, Bewusstsein und Mündigkeit Raum gegeben wird. Keiner Versicherung bedarf es. Und doch bedarf es der Städtischen Versicherung. Der ich versichere kann, der Wert dieses Hauses als Ort der Literatur ist unverkäuflich. Verkaufen Sie es deshalb nicht! Besinnen Sie sich auf Ihren zentralen Auftrag als Versicherung, das zu sichern, was für eine Gesellschaft und deren Menschen als Wert gilt. Die Unterlassung des Verkaufs wäre mehr als ein wertvoller Beitrag. Ein unbezahlbarer. Und ließe Ihr Unternehmen nach wie vor im Lichte erscheinen, jenes stolze Unternehmen zu sein, als das Sie gelten könnten. Und worauf Sie ein Recht haben, wenn Sie es sich zur Pflicht machen.

Wien, am 29. Mai 2008

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