Schmidt-Dengler gestorben: Er hat die Literatur geliebt

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Der Wiener Germanist Wendelin Schmidt-Dengler ist am Sonntag gestorben. Der 66-Jährige war ein großer Förderer und Chronist der österreichischen Literatur.

Die österreichische Literaturwelt, seine Zuhörer in den zum Bersten gefüllten Hörsälen und vor den Radiogeräten, bei Literaturveranstaltungen und Streitgesprächen hat Wendelin Schmidt-Dengler immer wieder überrascht, mit seinem sprunghaften Ideenreichtum, seiner literarischen Universalbildung, seinem sprühenden Witz, seiner blitzschnellen spitzen Zunge und seiner leuchtenden Lebendigkeit. Es waren positive Überraschungen - wenngleich er auch Neider und Feinde hatte, wie alle in der Öffentlichkeit erfolgreichen Wissenschaftler.

Am Montag hingegen war der Schock groß: Eine Lungenembolie hat den bekanntesten heimischen Germanisten das Leben gekostet, teilte das Institut der Germanistik mit. Schmidt-Dengler war 66 Jahre alt. Kein Alter heutzutage - schon gar nicht für ihn. Hätte man gedacht.

Was hat dieser Mann, der aus Zagreb nach Graz und schließlich nach Wien gekommene Sohn eines Buchhändlers, nicht alles für die heimische Literatur und ihre Autoren getan! Als Mitarbeiter und dann Vorstand des Instituts für Germanistik begeisterte er Generationen für das Fach; als Gründer und Leiter des Literaturarchivs der Österreichischen Nationalbibliothek gab er Vor- und Nachlässen der österreichischen Autoren eine Heimat - heute ist es einer der wichtigsten Literaturinstitutionen im deutschsprachigen Raum. Er war „die ideale Verbindung eines Professors für Literatur und eines Literaturkritikers, wie man sie in Österreich selten findet", schrieb der Autor Michael Scharang in der „Presse" zu Schmidt-Denglers 60. Geburtstag.

Zagreb, Graz, Wien

Dabei sieht es so aus, als hätte es den Philolologie-Studenten eher zufällig in die deutschsprachige Literatur verschlagen. Er habe während seiner Schulzeit in Wien genau gewusst, dass er nicht Germanistik studieren wollte, erzählte er gerne. „Ich habe Literatur geliebt, aber gerade deshalb wollte ich es nicht studieren. Ich dachte, das ist ein Bereich, den ich für mich behalte." Was für eine Begabung wäre da verloren gegangen - die so seltene Gabe, das eigene Fach als Bereicherung, als aktuell relevant zu vermitteln. Und wie anders kam es, Gott sei Dank: Er studierte Germanistik, vor allem aber Klassische Philologie, promovierte in Letzterer (über Aurelius Augustinus' Confessiones) - und wurde, statt Lehrer, Assistent am Institut für Germanistik.

Auch seine Entwicklung hin zum Leiter des Literaturarchivs hat ihre Wurzeln vielleicht in einer zufälligen Begegnung. Schmidt-Dengler freundete sich mit Heimito von Doderers Sekretär, Wolfgang Fleischer, an, der Schmidt-Dengler nach Doderers Tod die Betreuung des Nachlasses anvertraute. So kam die Freude am „Kennenlernen des Schriftstellers vom Material her". Den Autor der „Strudlhofstiege" hat Wendelin Schmidt-Dengler als habilitierter Altphilologe übrigens noch persönlich kennengelernt - er soll ihn schwer beeindruckt haben, indem er ein Homer-Zitat auf Griechisch weiterführte . . .

Doderer und viele andere, von Fritz von Herzmanovsky-Orlando bis Albert Drach, hat Schmidt-Dengler herausgegeben - und natürlich und vor allem Thomas Bernhard. Seit 2003 erscheint die von ihm mitherausgegebene, auf 22 Bände angelegte Bernhard-Werkausgabe bei Suhrkamp.

Als er zu Thomas Bernhard „Ja" sagte

In einem Interview im „Spectrum" vor fünf Jahren erzählte er über seine einzige Begegnung mit Bernhard: „Ich sitz' da im Café Bräunerhof, und er sitzt auch dort. Plötzlich kommt er zielstrebig auf mich zu. Ich war auf alles gefasst, auf alles. Er fragte mich dann aber nur: ,Ist die ,Frankfurter‘ frei?‘ Ich bewies geistesgegenwärtig meine Werkkenntnis und antwortete mit einem Bernhard-Titel: Ich sagte ,Ja‘."

Selbstironie - bis zuletzt begleitete sie Wendelin Schmidt-Dengler und trug dazu bei, dass bei aller Lust am öffentlichen Auftreten nie die eigene Person, immer die leidenschaftlich geliebten (oder ebenso leidenschaftlich abgelehnten) Bücher im Mittelpunkt standen.

Die würdige Erscheinung des Professors der Literaturgeschichte würde, da „gewohnt, auf unkontrollierbare Entfernungen zu zielen, in der Gegenwart oft unheilstiftend danebenschießen", zitierte Schmidt-Dengler einmal Musil. Er war aber auch das Gegenteil eines „Literaturpapstes" à la Reich-Ranicki (der ihm im „Literarischen Quartett" ständig die Hand niedergedrückt haben soll, um ihn zum Schweigen zu bringen). Die mehrschichtige Literatur vertrage auch mehrere Antworten: „Wir brauchen keine führende Kritikerstimme, kein literarisches Duett, Terzett oder Quartett . . ., sondern ein Orchester, das sich auf Polyphonie versteht." So verstand Schmidt-Dengler auch sein Metier - und nahm es in Kauf, auch einmal über das Ziel hinaus zu schießen, wenn nicht gar selbst polyphon zu werden.

Nein, Schmidt-Dengler taugt nicht zum toten Denkmal, seine Worte nicht, um in Stein gemeißelt zu werden. Aber wenn Herz und Seele der österreichischen Literatur in einem Menschen Platz hätten, dann hätte man - bis zu diesem Wochenende - gewusst, wo sie zu suchen sind.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.09.2008")

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