Thalhof: Die Literatur kehrt zurück

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Anna Maria Krassnigg, die neue Intendantin des Thalhofs in Reichenau an der Rax, will den legendären Ort wieder dem Zeitgenössischen widmen.

Dass der Thalhof in Reichenau Geschichte hat, spürt man. Man muss dafür nicht wissen, dass hier einst Arthur Schnitzler, Peter Altenberg, Robert Musil und Sigmund Freud ein und aus gingen. Man muss auch nicht wissen, dass der einstige Treffpunkt der Denker und Intellektuellen nicht erst seit Schnitzler ein solcher war. Seine Liebe galt übrigens nicht nur dem Ort, sondern auch der Gastgeberin Olga Waissnix. Man muss also auch nicht wissen, dass hier schon Franz Grillparzer oder Johann Nestroy Gäste waren. Man spürt es, wenn man diesen Ort betritt. Man merkt, dass der Thalhof nicht nur der Sommerfrische wegen aufgesucht wurde. Sondern vielmehr auch deshalb, weil der Ort selbst etwas Literarisches, Künstlerisches, ja nahezu Denkerisches hat.

Seit Kurzem spürt man hier aber auch, dass das in Zukunft so bleiben wird. Mit den neuen Besitzern, dem Ehepaar Ursula und Josef Rath, ist auch eine neue künstlerische Auffassung eingezogen. Eine, die der ursprünglichen sehr nahe kommt. Die Schnitzler-Festspiele unter Helga David sind Geschichte. Ab heuer hat die Regisseurin und Autorin Anna Maria Krassnigg die künstlerische Leitung übernommen.

„Die Vergangenheit wird in Österreich oft abgekapselt betrachtet und verklärt, aber beides war sie nie. Das waren alles durchgeknallte Wahnsinnige, die hier tätig waren – weit weg von jeder Lodenmantel-Nostalgie“, sagt Krassnigg, die auch Professorin am Max Reinhardt Seminar und für ihren Salon 5 bekannt ist. Sie ist eigentlich ganz klassisch, über die Sommerfrische, nach Reichenau gekommen.

Der heißen Sommer wegen hat sie sich in der Nähe eine kleine Unterkunft gesucht, um hier zu arbeiten. Über eine Bekannte hat sie Josef Rath kennengelernt – der sich als Fan ihrer Arbeit entpuppte. „Er hat mir gesagt, dass er den Ort weiterhin der Kunst und Kultur widmen will und wenn er das macht, dann nur mit mir. Ich dachte, das ist zwar sehr charmant, aber das geht sich unmöglich aus. Ich hatte so schon genug zu tun“, erzählt Krassnigg, während sie zu dem verwachsenen Tennisplatz führt, an dem einst Schnitzler und Salten gespielt haben.

Die neuen Eigentümer brauchten nicht viel Überredungskunst, sondern ihr lediglich den Ort zu zeigen. „Ich suche mir solche Orte nicht aus, aber wenn ich einmal hier bin, kann ich nicht mehr anders“, sagt Krassnigg und präsentiert stolz den renovierten Thalhof. Hinter dem Haus wird schnell ersichtlich, wie die Eigentümer und die Intendantin mit dem historischen Ort umzugehen gedenken. „Dieses Haus hier war doppelt so lang, aber der hintere Teil war komplett kaputt, den musste man abreißen, sonst hätte er den vorderen Teil angesteckt.“ Man wollte den Bruch aber nicht „schönbrunnerisch“ verbergen, sondern zeigen. Also wurde das Haus abgeschnitten und die weiße Wand von der Künstlerin Esther Stocker mit charakteristischem Schwarz-Weiß-Muster gestaltet.

Der Bruch wird programmatisch

„Das ist ein Symbol dafür, was wir hier auch programmatisch machen“, sagt Krassnigg in Hinblick auf das Sommertheater, das kein klassisches Sommertheater sein soll und viermal statt einmal im Jahr stattfinden soll. Am Freitag startet die erste Saison mit der Hochstaplernovelle von Robert Neumann. Neben dem historischen, modern inszenierten Stück wird im Ballsaal auch jeweils ein zeitgenössisches Stück gespielt. Ab 26. Juni ist Erni Mangold in „La Pasada“ von Anna Poloni zu sehen. Dazu gibt es ein wissenschaftlich-künstlerisches Programm mit Robert Schindel, Evelyne Polt-Heinzl, Franz Schuh, Julya Rabinovich, Paulus Hochgatterer, Franzobel und anderen.

Das Motto der heurigen Saison lautet übrigens „Die Residenz des Flüchtigen“, immerhin war der Thalhof stets flüchtige Residenz von Dichtern und Denkern. Und das soll er auch jetzt wieder sein, ein Ort des Schauspiels, der Kunst, des Wortes und der europäischen Offenheit, sagt Krassnigg und deutet auf den Weg hinter dem Haus, der zum Schneeberg führt. „Wenn man hier ein Stück weitergeht, verändert sich die Perspektive. Das sieht fast chinesisch aus, nicht wie eine alpine Landschaft. Es ist alles ein bisschen absurd hier. Das ist Wahnsinn.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.06.2015)

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