Philosophicum Lech: Göttliches in Geld und Technik

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Unter dem Motto „Über Gott und die Welt“ regiert beim Philosophicum heuer die Theologie: zum Beginn der Tagung als Basis für fantasievolle Gründungsmythen.

Am Anfang war . . . Ja, was denn eigentlich? Das heurige Philosophicum Lech, bei dem es unter dem Motto „Über Gott und die Welt“ um Anfang, Ende und alles dazwischen geht, fügt den aus Bibel, „Faust“ und Urknalltheorie bekannten Angeboten (Wort, Sinn, Tat, Vakuum etc.) einige neue Vorschläge hinzu. Christopher Türcke (Uni Leipzig) etwa sieht am Anfang des Geldes – und Gottes – den Schrecken, gegen den sich der Mensch zu immunisieren trachtete, indem er das Schreckliche wiederholte: So sei das Opfer entstanden, erst von Menschen, dann von Tieren, dann, noch weiter abgemildert, von Metallgebilden, die solche darstellten. „Im Gold schien sich der Sonnengott zu reflektieren“, sagt Türcke, „nur so verfiel man auf die Idee, der Sonne statt eines lebendigen Rindes ein goldenes Kalb darzubringen.“ Dieses als Opfer statt als Götzenbild, dem geopfert wurde – eine starke Umdeutung, die Türcke vornimmt, um seine These zu fundieren: Geld sei ursprünglich ein Opfer, das der Mensch den Göttern schuldete. Und da diese das Metall nicht verzehren konnten, habe sich in den Tempeln das Kapital angehäuft. Türcke sieht den Ursprung dieses Wortes in dem Sakrileg, das es ursprünglich gewesen sei, den Göttern statt lebenden Wesen nur Metall zu opfern.

Ein Ritus erzeugt die Kaufkraft

Und die Münzen? Die seien erst spät gekommen, sagt Türcke: Tyrannen griechischer Stadtstaaten hätten sie erfunden, nach dem Vorbild der Priester, die den Gläubigen ihre Anteile an der Opfermahlzeit in Form von Opferspießen (obelos) ausbezahlt hätten. Die Prägung der Münzen erinnere noch an den sakralen Ursprung: „Erst ein Ritus zaubert Naturdingen Kaufkraft an, und die dafür Zuständigen sind Priester.“ So sei Mario Draghi, Präsident der Europäischen Zentralbank, ein Oberpriester.

So fantasievoll Türckes Ursprungsmythos ist, den er mit psychoanalytischem Vokabular (Wiederholungszwang etc.) schmückt, so konkret war seine Analyse der heutigen Wirtschaftswelt. Ihre Pointe: Nach 2008 seien die Finanzmärkte, „vollgesogen am Busen der Zentralbanken“, selbst zum „Verleiher letzter Instanz“ geworden, unergründlich wie cholerische Naturmächte, die man besänftigen muss wie einst Zeus oder Wotan. Also ein Plädoyer für Abschaffung des Geldes? Wohl sei der „Urwunsch“ des Geldes gewesen, sich selbst (und damit den ursprünglichen Schrecken) abzuschaffen, sagt Türcke: „Das klappt leider nicht.“ Aber diesen Urwunsch wachzuhalten, fördere die Humanisierung der Zahlungsverhältnisse.

Nicht nur das Geld, auch die Technik regiert die heutige Welt. Für sie fand Käte Meyer-Drawe (Bochum) gleich zwei Ursprungsmythen in der Genesis. In der älteren, jahwistischen Version das Bild vom Töpfergott, der Adam aus Lehm formt. In der jüngeren, priesterschriftlichen Erzählung die Schöpfung durch das Wort: „Gott sprach: ,es werde Licht‘, und es ward Licht.“ Da seien Wille und Werk ganz nahe aneinander, wie bei einem Knopfdruck, der das Licht einschaltet oder eine Bombe auslöst. Die Technik mache den Menschen eben seinem Schöpfer ähnlich.

Dass die Technik nur dazu diene, um die Defizite des Mängelwesens Mensch auszugleichen, hält Meyer-Drewe für ein Märchen. Dagegen sprechen Maschinen, die offensichtlich gar keine Ersparnis an Energie, sondern nur den Triumph des Geistes verkörpern. Die Weinleitung etwa, das rotierende Lesepult oder der Bratenwender, der sehr laut arbeiten musste, um den Nachbarn zu zeigen, dass der Tisch reich gedeckt ist.

Wie sehr die Technik mit dem Göttlichen assoziiert ist, zeigt auch der Name, den der Physiker Robert Oppenheimer dem Gelände gab, auf dem der erste Nukleartest stattfand: Trinity, Dreifaltigkeit. Für Günther Anders zeigte das Gelingen dieses Tests, dass der Mensch eine Macht der Vernichtung erworben habe, wenn er schon keine Schöpfung aus dem Nichts zusammengebracht habe. Könnte sein, dass fürwitzige Physiker da widersprechen, angesichts der Erzeugung von Teilchenpaaren in den Beschleunigern. Aber noch sind in Lech – bis Sonntag – die Philosophen am Wort.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.09.2016)

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