Was man zum "Babykatzengate" wissen sollte

Richard Schmitts Text über Sargnagels Marokko-Reise in der "Krone".
Richard Schmitts Text über Sargnagels Marokko-Reise in der "Krone". Screenshot
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Die "Kronen Zeitung" kritisiert die Bachmann-Publikumspreisträgerin Stefanie Sargnagel wegen eines Textes, der zum Teil dank Förderung des Bundes entstand. Ein Protokoll des bizarren Internet-Clashs.

Die Geschichte war von Anfang an komplex, aber jetzt ist sie wirklich unübersichtlich geworden. Wer der Auseinandersetzung "Krone" versus Stefanie Sargnagel noch folgen will, braucht mittlerweile Ausdauer und ehrliches Interesse. Viel wurde darüber bereits geschrieben - und noch mehr GESCHRIEN! Wir bleiben ruhig und liefern die Eckpunkte der bizarren Causa:

* Die Vorgeschichte: Die 31-jährige Wiener Autorin Stefanie Sargnagel (Markenzeichen: rote Baskenmütze) polarisiert schon länger mit ihrer Facebook-Dichtung, die sie mittlerweile in drei Bücher gepresst hat. Im Vorjahr gewann sie den Publikumspreis beim Bachmann-Wettlesen in Klagenfurt, im Jänner reiste sie mit Lydia Haider und Maria Hofer, zwei weniger bekannten Jungautorinnen, in die marokkanische Hafenstadt Essaouira, um unter anderem an ihrem vierten Buch zu schreiben. Zwei der drei Frauen erhielten einen Reisekostenzuschuss von je 750 Euro vom Bundesministerium für Kunst und Kultur. Am letzten Februar-Wochenende erschien im "Album", der Wochenendbeilage des "Standard", ein "Gemeinschaftstagebuch" der drei Autorinnen, in dem sie von ihrem Schreibaufenthalt berichteten. Kein Glanzstück, dieser Text. Aber erstens war er nicht das erklärte Schreibendprodukt dieser Reise, sondern entstand spontan und zusätzlich, zweitens so offensichtlich sarkastisch geschrieben, dass man ihn nicht ernst nehmen konnte. Da wurde erzählt, dass eine der drei Autorinnen eine Babykatze "zur Seite getreten" habe, die drei auf ihrer Terrasse Haschisch geraucht hatten und sich am Strand "spätnachts willig" - in Minirock, ohne BH und rotem Lippenstift - zu den Bewohnern Essaouiras gesetzt hätten, was diesen nur ein desinteressiertes "Bon Jour" abgerungen hätte.

* Der Zeitpunkt: Es hat dann ein bisschen gebraucht bis die "Kronen Zeitung" den Artikel im "Standard" entdeckt und in dem Geschriebenen einen Skandal erkannt hat. Richard Schmitt, der Online-Chef des Blattes, mokierte sich in der Ausgabe vom 8. März (dem Frauentag) nicht gerade freundlich über Text und Verhalten dieser "mittelbekannten und mittelbegabten Autorinnen", deren Reise noch dazu von den Steuerzahlern bezahlt worden sei. Autorin Sargnagel erklärte sich und ihren Facebook/Twitter-Followern später den Zeitpunkt des "Krone"-Textes so: Ihrer Meinung nach sei Österreichs reichweitenstärkstes Boulevardblatt erst auf den Text gestoßen, nachdem im ORF-"Kulturmontag" anlässlich des Frauentages ein Bericht über die feministische Burschenschaft Hysteria lief, deren Mitglied Sargnagel ist. Jene Burschenschaft, die mit Transparenten den diesjährigen Akademikerball in der Hofburg gestört hatte. Was vor allem der FPÖ und den sonstigen Ballgästen nicht gefiel.

Ob der Zusammenhang stimmt, sei dahin gestellt, fest steht: Die "Krone" - und die FPÖ - haben ein gemeinsames Objekt der Kritik gefunden: Eine erklärt linke Künstlerin, die vom Steuerzahler finanziert Urlaub in Marokko macht und dort Tiere quält und Drogen konsumiert. Für Ironie bleibt da kein Platz. 

* Die Hetze, die Kärntner "Krone" und die Polizei: Auf den "Krone"-Text folgten die erwartbaren Reaktionen des Internetpöbels (das Schreien!). Das ist zwar nicht überraschend, aber in der Heftigkeit dann doch wieder beunruhigend. Auf der Facebook-Seite und in den Foren der "Krone" reagierten erschreckend viele Menschen - vorrangig Männer, aber nicht nur - mit diskriminierenden, hetzerischen Kommentaren und Beschimpfungen auf Sargnagel und ihre Kolleginnen. Die "Krone" bot den Hasspostern einen willkommenen Anlass und Plattform für ihr Gebrüll. "Warum werden solche Volksverhetzer nicht an die Wand gestellt? Wäre ein guter Henker", fragte etwa Twitter-Nutzer Stefan Omasits öffentlich (daher wird auch sein voller Name genannt). "Zwangssterilisieren diese Drecksau und ab in ein Arbeitslager", schrieb Twitter-Nutzer Wilhelm Bernecker.

Autorin Sargnagel wehrte und wehrt sich seither in zahlreichen Facebook- und Twitter-Posts verbal gegen die Angriffe der "Krone" und der vielen Kommentatoren - was die Kritiker und Hetzer noch mehr in Rage brachte. Auch die "Krone" beruhigte sich nicht. Vor allem die Kärntner Ausgabe des Blattes empört sich seither ausdauernd über Sargnagel, die derzeit Stadtschreiberin in Klagenfurt ist. In der Freitagausgabe bezeichnete Fritz Kimesweger sie als "Fäkal-Autorin", die "willig" sei und wies zum Schluss auch noch darauf hin, wo genau in Klagenfurt sie derzeit wohnhaft sei. Dies sei kein Aufruf zur Vergewaltigung gewesen, ließ die Redaktion später ausrichten, man würde nur Sargnagels eigene Wortwahl aus dem Text wiedergeben. Nur, der Hinweis auf ihren Text - ob direkt oder indirekt, mit Anführungszeichen oder ohne - unterblieb in diesem Fall. Ein freiheitlicher Stadtrat fordert nun, dass man der Autorin die Klagenfurter Dienstwohnung kündigt, in der sie wohnt. So stand es in der "Krone". 

Mittlerweile interessiert sich aber auch die Polizei für die strafrechtlich relevanten Tweets und Posts, in denen Sargnagel bedroht wird.

* Die Facebook-Sperre: Am Freitagabend hatte man gehofft, das Internet würde sich über das Wochenende beruhigen und das Babykatzengate vergessen. Doch am Samstag wurde die Geschichte um eine Facette reicher: Facebook hatte offenbar das Profil von Autorin Stefanie Sargnagel ohne Begründung und weitere Prüfung für 30 Tage gesperrt. Weil diverse Nutzer sich über ihr Profil beschwert hatten, sagt sie. Weil sie unsittliche Fotos eines anderen Autors geteilt haben soll, sagen andere. Aber dazu im nächsten Punkt mehr:

* Die Glavinic-Seitenlinie: Schon einmal, im Sommer 2016, waren sich der Autor Thomas Glavinic ("Die Arbeit der Nacht", "Der Jonas-Komplex") und Sargnagel in einer ähnlich verworrenen Geschichte in die Haare geraten. Er hatte sie einen "Rollmops" genannt, sie ihm daraufhin "Fatshaming" vorgeworfen und ihn an diverse Fotos seines Gemächts erinnert, die er auf seinem Facebook-Profil veröffentlicht hatte. Um Nacktfotos geht es jetzt wieder. Am Wochenende nämlich schaltete sich Glavinic in die aktuelle Debatte ein. Sein Computer sei gehackt worden, und darauf befindliche Nackt- und Sexfotos von seiner Freundin und ihm seien auf einem eigens dafür eröffneten Twitter-Profil veröffentlicht worden. Er beschuldigte Sargnagel, dafür verantwortlich zu sein oder zumindest, einen Link auf die im Netz frei zugänglichen Nacktfotos geteilt zu haben. Das sei auch der Grund, warum ihr Profil gesperrt wurde. Sargnagel dementierte - mittlerweile via Twitter, weil ja von Facebook gesperrt - die Anschuldigungen.

* Die Kommentatoren: In der Zwischenzeit haben sich so viele Menschen zum "Babykatzengate" geäußert, dass man eigentlich nur mehr verwundert den Kopf schütteln kann. Sargnagel wird von vielen unterstützt und bestärkt, die Hetze gegen sie und ihre Kolleginnen verurteilt, an die Freiheit der Kunst und der Meinungsäußerung erinnert. Puls4-Infochefin Corinna Milborn wies darauf hin, dass in der selben Ausgabe des "Album" ein Text des niederländischen Autors Arnon Grünberg veröffentlicht worden sei, in dem er in einer deftigen Passage darüber sinniert, dass er seine Freundin "eigentlich lieber totficken" wolle. Diesen Text habe niemand beanstandet. Was Milborn zu dem Schluss brachte: "Frauen werden in der Öffentlichkeit anders behandelt als Männer, auch wenn sie dasselbe tun." 

Andere werfen Sargnagel - bei aller Kritik am Vorgehen der "Krone" - vor, zartbesaitet zu sein und sich allzu schnell als Opfer zu sehen. Wer eine öffentliche Förderung kassiert (egal, welcher Höhe) und öffentlich Texte darüber verfasst, müsse mit Kritik umgehen können. Michael Fleischhacker verwies in seinem Samstags-Newsletter der NZZ.at auf die Irrelevanz der handelnden Personen in dieser Causa, um dann doch zu sagen, wo hier das Problem liege: "Dass es mit der gern überlegen daherkommenden Ironie-Attitüde von hippen Netzphänomenen, die gerne als Literatur wahrgenommen werden möchten, schnell vorbei ist, wenn man dann mal selbst ins Visier gerät."

* Wir lernen: Der "Kurier" sieht Parallelen zum Parade-Kunstskandal der Achtziger-Jahre rund um Bernhards Stück "Heldenplatz". Fehlt halt nur eine Bühne wie das Burgtheater, ein Autor wie Bernhard und ein relevantes Thema. Zur Erinnerung: Hier wird über Babykatzen diskutiert! Und eine Förderung in Höhe von zwei Mal 750 Euro, macht in Summe also 1500 Euro. Fest steht, dass die "Krone" einen Skandal ausgemacht hat und unter dem Deckmantel des Tierschutzes gegen eine Person kampagnisiert, die ihr nicht genehm ist. Fest steht auch, dass das Internet und die Eitelkeit diverser Protagonisten die ganze Sache noch unschöner machen als sie ohnehin ist. Dass Sargnagel so polarisiert, liegt vermutlich auch noch an einer anderen Sache. Sie tut, was ungewöhnlich ist und vor allem Männer überrascht: Sie wehrt sich gegen Kritik, schießt zurück, spricht aus, was sie sich denkt. Wer Texte veröffentlicht, sollte einiges aushalten, ja. Aber wer verbal beschossen wird, darf sich auch wehren. 

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