Paul Theroux' schreckliche Reise ins Mutterland

Paul Theroux schreibt über eine Königin Lear und ihre alternden Kinder.
Paul Theroux schreibt über eine Königin Lear und ihre alternden Kinder.(c) picture alliance / Effigie/Leema (©Effigie/Leemage)
  • Drucken

Der US-Reiseschriftsteller Paul Theroux hat einen autobiografischen Roman geschrieben, in dem er mit (s)einer Familie abrechnet. Schön böse, dabei aber auch etwas redundant.

Als der Vater stirbt, ist die Zeit der Mutter gekommen: Sie besteigt als „Königin Lear“ den Thron in Form eines Ledersessels, fordert Gaben ein und lässt sich preisen. Sie sät Streit, Neid und Zwietracht unter ihren vielen Kindern, um sich Kontrolle und Aufmerksamkeit zu sichern, und verteilt dabei ihre Gunst messbar in Form von Grund und Geld. Familienleben, das bedeutet hier: Klatsch und Tratsch, Sticheleien und handfeste Bösartigkeiten, Ausspielen und Auf-der-Hut-Sein. Mitleid erntet hier niemand, schon gar nicht von der Mutter: Was immer passiert, sie hat bestimmt schon Schlimmeres erlebt.

„Mutterland“ heißt der Roman, in dem sich der amerikanische Reiseschriftsteller Paul Theroux ins schreckliche Reich einer – seiner – Familie aufmacht. Nun darf man zwar einen Autor nie mit seinem Ich-Erzähler verwechseln – dass der echte Theroux eine harmonische Beziehung zu seiner Mutter pflegte, ist angesichts der biografischen Parallelen in der 650-Seiten-Abrechnung aber nur bedingt wahrscheinlich. Zumal Theroux bekannt dafür ist, Fiktion und familiäre Fakten zu mischen.

Erzähler Jay Justus ist Reiseschriftsteller, der auch Romane schreibt. Er ist französisch-kanadisch-italienischer Abstammung, aufgewachsen auf Cape Cod in einer kinderreichen Familie, der Vater arbeitete in einer Lederfabrik. Er lebte in Afrika und Singapur, war zweimal verheiratet, hat zwei Söhne, die als Autoren und Filmemacher in London leben. All das stimmt auch für Theroux (nur ist dessen zweite Ehe noch intakt). Selbst der ebenfalls schreibende Bruder, der ihn in einer untergriffigen Kritik verreißt, ist echt (Alexander Theroux nannte Paul einst einen grantigen Snob mit Verdauungsproblemen.)


Autounfall in Zeitlupe. Doch darum geht es hier gar nicht mehr. Die erfolgreichste Zeit des alternden Schriftstellers liegt hinter ihm, was bleibt, ist der Kampf um die Liebe der Matriarchin, in dem alle wieder zu Kindern werden. Das Buch zu lesen, sei, wie in Zeitlupe einem Autounfall zuzuschauen, wird Stephen King auf dem Cover zitiert. Was aus dessen „New York Times“-Kritik weggelassen wird (was man aber auch bald selbst merkt), ist, dass sich das Ganze auch ziemlich zieht. Der (durchaus wohlwollende) King spricht davon, sich durch eine Jeremiade, ein Klagelied, zu schleppen. „Es gibt hier keine Geschichte, nur eine Situation.“

Theroux mag als Reiseschriftsteller Meriten erworben haben – auf der Reise ins Mutterland, zurück zu der Frau, die ihn einst in die Fremde und in die Literatur fliehen ließ, fehlen die Zutaten dieses Genres. Die Charaktere bleiben eine eher zweidimensionale Ansammlung schlechter Eigenschaften, dem Ich-Erzähler fehlt jede Empathie. Das mag ebenso (selbstkritische) Absicht sein wie die ständige inhaltliche Wiederholung. In Familien streitet man ja wirklich immer über das Gleiche. Doch streckenweise ist man davon genauso genervt wie der Erzähler. Vielleicht hätte Theroux gut daran getan, noch ein wenig mehr zu streichen, als er angeblich ohnehin schon hat – und für den Rest einen Therapeuten zu bezahlen.

Neu Erschienen

Paul Theroux
"Mutterland"

Übersetzt von Theda Krohm-Linke
Hoffmann und Campe

656 Seiten
28,80 Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.04.2018)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.