Wunderbare Roth-Romane: Bücher, die man lesen sollte

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Sexuelle Obsessionen, Bekenntnisse und eine Verschwörung gegen Amerika: Welche Bücher von Philip Roth die "Presse" nach seinem Tod besonders empfiehlt.

"Portnoys Beschwerden" (Portnoy’s Complaint, 1969):

“Ich brauche keine Träume, Doktor, deswegen habe ich kaum welche - weil ich stattdessen dieses Leben habe. Bei mir passiert alles bei Tageslicht!” Ein Mann monologisiert beim Psychotherapeuten über seine unterdrückten sexuellen Obsessionen und seine überbehütete Kindheit in einer jüdischen Familie: “Sie können längs und quer durch meinen Körper auf Super-Highways der Scham, der Hemmung und der Furcht reisen.” Ungeniert obszön und satirisch, unerhört witzig ist dieser Roman. Kein anderer von Roth hat so viel Aufsehen erregt - nicht zuletzt, weil er meist als autobiografischer Enthüllungsroman gelesen wurde; kein anderer freilich hat auch mehr dazu beigetragen, Roths Image als “vulgärer”, “machohafter” und “sexfixierter” Autor zu zementieren. Den "besten jüdischen Witz aller Zeiten" nannt die "New York Times" das Buch - genau das brachte dem Autor auch heftige Kritik von jüdischer Seite ein: Er bewege sich nah an antisemitischen Stereotypen.

"Sabbaths Theater" (Sabbath's Theater, 1995)

Für den amerikanischen Großkritiker Harold Bloom war der Roman „Sabbath's Theater“ das Meisterstück von Philip Roth. Tatsächlich gewann der 63-Jährige mit diesem gemeinen Männer-Buch 1995 zum zweiten Mal den National Book Award. Den Preis hatte er zuvor bereits als 27-Jähriger mit seinem Debüt erhalten, dem Sammelband „Goodbye Columbus“. Die besseren Tage von Morris „Mickey“ Sabbath, dem Protagonisten des reifen Werkes, sind längst passé. Dieser Puppenspieler hat sein „unzüchtiges“ Straßentheater an einer Ecke des Broadway vor allem auch dazu benutzt, um Frauen kennenzulernen. Er stellt Menschen gerne bloß und manipuliert sie. Durch den Tod der langjährigen Geliebten Drenka gerät er in eine tiefe Krise. Dieser peinliche, widerliche Charakter kehrt zurück nach New Jersey, wo er aufgewachsen ist. Er will dort ein Ende machen. So lebt er hin.

"Amerikanisches Idyll" (American Pastoral, 1997)

Für „American Pastoral“ erhielt Philip Roth völlig zurecht den Pulitzer Preis. Dieser 1997 publizierte Roman erschien auf dem Höhepunkt von Roths  zweiter höchst produktiven Phase, die viele Kritiker für seine beste halten. Der Erzähler im Buch ist nach langjähriger Pause nochmals der wiedererstandene Nathan Zuckerman, ein Alter Ego des Autors seit Anfang der Siebzigerjahre. Hauptfigur Seymour Irving Levov versucht mit seiner Familie den amerikanischen Traum zu leben, er legt dafür seine jüdische Identität ab. Man nennt den großen Blonden aus Newark, der in Basketball, Baseball und Football reüssiert, den „Schweden“. Auch als Unternehmer ist er erfolgreich. Doch in der Mitte seines Lebens wird er durch den politischen Extremismus seiner mörderischen Tochter Merry aus der Bahn geworfen. Eine Idylle? Die Tragödie einer Vater-Tochter Beziehung, eingebettet in die Geschichte von vier Generationen jüdischer Einwanderer.

"Der menschliche Makel" (The Human Stain, 2000):

Wegen einer angeblichen rassistischen Äußerung verliert der geschätzte 71-jährige Altphilologe und College-Dekan Coleman Silk nicht nur seine Professur, sondern auch seinen Ruf - und noch mehr ... Die Verfilmung mit den grandiosen Darstellern Anthony Hopkins und Nicole Kidman hat diesen Roman noch berühmter gemacht. Silk wird zum Verhängnis, dass er zwei regelmäßig schwänzende Studenten als „dunkle Gestalten, die das Seminarlicht scheuen“, bezeichnet hat. Die nächste Kampagne gegen sich erlebt er, als er sich in eine nur halb so alte Putzfrau verliebt. Das Buch sei kein Roman, sondern ein “Bekenntnis”, betonte Roth selbst. “Es bildet den Abschluss der „amerikanischen Trilogie“ (nach “Amerikanisches Idyll” - “American Pastoral” und “Mein Mann, der Kommunist” - “I Married a Communist”).

Roths Alter Ego, der Schriftsteller Nathan Zuckerman, der in zahlreichen Werken eine Rolle spielt, tritt hier als Beobachter auf, der sich mit Silk anfreundet und an seinem Schicksal Anteil nimmt. Nach Silks offenbar gewaltsamem Tod entdeckt er, dass Silk keineswegs der weiße Jude war, als der er sich immer ausgab, sondern ein hellhäutiger Schwarzer, stets in Angst, man könnte seine wahre Identität entdecken. Viele Figuren verbergen hier etwas, aus Angst und Scham, das geht auch beim Lesen tief unter die Haut. „Die Berührung durch uns Menschen hinterlässt einen Makel, ein Zeichen, einen Abdruck”, heißt es im Roman über den menschlichen Kontakt mit wilden Tieren - daher der deutsche Titel “Der menschliche Makel”. “Unreinheit, Grausamkeit, Missbrauch, Irrtum, Ausscheidung, Samen – der Makel ist untrennbar mit dem Dasein verbunden.”

"Verschwörung gegen Amerika" (The Plot Against America, 2004):

"Ich frage mich, ob ich als Kind nicht weniger Angst gehabt hätte, wenn Lindbergh nicht Präsident gewesen (...) wäre": Der Luftfahrtspionier Charles Lindbergh als faschistischer US-Präsident - dieses Szenario entwirft Roths Alternative-History-Roman “Verschwörung gegen Amerika”. Schon Autoren der 1930er Jahre hatten in Romanen die faschistische Machtübernahme in den USA ausgemalt, doch Roths Roman steht in seinem Spiel mit der Geschichte mehr in postmoderner Tradition, auch seine eigene jüdische Familie macht er zum Teil der Fiktion. Aus der Perspektive eines Buben namens Philip Roth erlebt man im Umkreis von New York die Jahre 1940 bis 1942.

Lindbergh, der realiter dem Nationalsozialismus ziemlich hold war, war auch tatsächlich damals als Präsidentschaftskandidat zumindest am Rande im Gespräch. Im Roman gewinnt er die Wahlen gegen Roosevelt. Als erster Mensch, der (1927) allein nonstop den Atlantik überquert hat, ist er ein Weltstar, die amerikanischen Wähler überzeugt er durch seine Position gegen einen Kriegseintritt der USA. Unter seiner Präsidentschaft entwickelt sich um ihn ein Personenkult, der Antisemitismus gewinnt freie Bahn, bis hin zu Pogromen. Schließlich fällt sein Regime und die Geschichte mündet, nun wieder mit Roosevelt, in das Kriegsende, wie wir es kennen. Der fast einhellige Beifall, den das Buch bei seinem Erscheinen 2004 erntete, hatte auch damit zu tun, dass die Kritiker es als Allegorie auf die Bush-Regierung verstanden - eine Deutung, die der Autor freilich dezidiert zurückwies.

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