Zeitreisender unter den Krimiautoren

Tom Hillenbrand: Zeit und Ort seiner Krimis wechseln, sein feines Gespür für Menschen bleibt.
Tom Hillenbrand: Zeit und Ort seiner Krimis wechseln, sein feines Gespür für Menschen bleibt.Stephanie Füssenich
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Mit „Hologrammatica“ legt Tom Hillenbrand einen faszinierenden Zukunftsthriller vor. Der vielseitige Autor überzeugt aber auch mit historischer und kulinarischer Krimikost.

Ob ein groß geplanter Kaffeediebstahl im Jahr 1683 („Der Kaffeedieb“), ein Olivenölbetrug in der Gegenwart oder die Suche nach verschwundenen Personen im Jahr 2088 in einer vollkommen veränderten Welt – der deutsche Autor Tom Hillenbrand ist ein kriminalliterarischer Zeitreisender, der seinesgleichen sucht. Atmosphärisch dicht entführt er mit Vorliebe in neue oder alte Welten und ist damit so vielseitig wie kein anderer deutschsprachiger Autor des Genres.

Der Aufstieg des Deutschen begann eher unauffällig. Noch bevor kulinarische Krimis, die mittlerweile immer häufiger mit Kochrezepten ausgestattet werden, zu einem ausufernden Subgenre von oft zweifelhafter Qualität wurden, erfand er 2011 den luxemburgischen Koch Xavier Kieffer. Dieser ermittelt seither in der Gourmetszene und kommt schmutzigen Geschäften mit Sushi, Oliven, Kaffee oder Schokolade (der sechste Band, „Bittere Schokolade“, erscheint im November) auf die Spur. Hillenbrand stellt dabei sogar Martin Walkers kochenden Kult-Dorfpolizisten Bruno in den Schatten. Bei ihm funktionieren nicht nur die Figuren, sondern auch die Fälle.

Holo-Masken sind alltäglich. Der ehemalige „Spiegel“-Online-Ressortleiter und Autor zweier amüsanter konsumkritischer Sachbücher („Ich bin ein Kunde, holt mich hier raus“, „Ihr Anruf ist uns nichtig!“ – beide unter dem Pseudonym Tom König verfasst) dürfte mit dem Verlag Kiepenheuer & Witsch das richtige Zuhause gefunden haben. Denn nicht überall wird es von Verlagsseite gern gesehen, wenn Autoren ihre erfolgreichen Gefilde verlassen. Daher gelten Hillenbrands Dankesworte im neuesten Werk „Hologrammatica“ auch seinem Verlag: „Egal, ob ich mit einem barocken Historienepos oder einem Roman über seltsame Hologramme um die Ecke komme, die Kiwis sind stets aufgeschlossen für alles.“

Tatsächlich betrat Hillenbrand 2015 mit seinem Future-Noir-Thriller „Drohnenland“, der ein vollkommen überwachtes Europa porträtiert, für deutschsprachige Autoren Neuland. Dafür staubte er umgehend den Glauser-Preis für den besten Kriminalroman ab. Mit „Hologrammatica“ geht er nun noch einen Schritt weiter. Wir schreiben das Jahr 2088: Galahad Singh arbeitet als Quästor, eine Art Privatdetektiv der Zukunft, in London. Neuartige Technologien wie Holonets und Mind Uploading machen es den Menschen einfacher denn je, die eigene Identität zu wechseln und zu verschwinden.

Überraschenderweise spielt Privatsphäre in dieser neuen Welt wieder eine größere Rolle. Daten werden nur sehr kurzzeitig gespeichert, was Singhs Job nicht gerade erleichtert. Das hat einen Grund: Als Mitte des 21. Jahrhunderts künstliche Intelligenz verheerenden Schaden anrichtete, beschloss die Menschheit, vorübergehend weltweit den Stecker zu ziehen.

Es ist faszinierend, in diese Holo-Welt einzutauchen. Kaum etwas ist so, wie es erscheint. Mithilfe von Holonets machen sich die Menschen die Welt schöner, als sie tatsächlich ist. Gebäude erstrahlen in einem Glanz, den es gar nicht gibt, und sogar Menschen können sich durch Holo-Masken aufhübschen. Brillen sind dafür nicht nötig, da hochauflösende Hologramme vom bloßen Auge wahrgenommen werden. Mit Stripperbrillen ist es allerdings möglich, Teile des Holonets auszublenden – je nach Lizenz kann man also mehr oder weniger Realität sehen.

Elementare Fragen bleiben gleich. Bei all der modernen Technologie bleiben allerdings die Fragen immer dieselben: In wen verliebe ich mich da eigentlich? Wie sieht der Menschen unter seinem Holo-Make-up aus? Ist er ein Mann oder eine Frau? Schwarz oder weiß? Das führt zurück zu der Frage nach Identität: Wer bin ich? Wer bist du? Und was macht es mit uns, wenn wir anders sind, als uns alle wahrnehmen? Ob im 17. oder im 21. Jahrhundert – Hillenbrands feines Gespür für die Menschen macht seine Krimis groß.

Neu Erschienen

Tom Hillenbrand
„Hologrammatica“

Kiepenheuer & Witsch
560 Seiten
12,40 Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.06.2018)

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