Buchpreis für Mahlke: Teneriffa-Roman siegt in Frankfurt

Inger-Maria Mahlke hat den Deutschen Buchpreis 2018 gewonnen
Inger-Maria Mahlke hat den Deutschen Buchpreis 2018 gewonnenAPA/dpa/Arne Dedert
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Literatur. Den Deutschen Buchpreis bekommt heuer Inger-Maria Mahlke für ihren Roman „Archipel“. Er erzählt ein Jahrhundert rückwärts, bis 1919.

Man kennt Inger-Maria Mahlke in Österreich mindestens seit ihrem Auftritt beim Ingeborg-Bachmann-Wettlesen 2012 – er brachte ihr damals einen Nebenpreis (den Ernst-Willner-Preis) ein: Nun aber hat die 41-jährige, in Lübeck aufgewachsene Autorin zum Auftakt der Frankfurter Buchmesse einen viel prestigeträchtigen Preis gewonnen, den Hauptpreis unter den deutschsprachigen Buchpreisen – zumindest wenn es um die Publikumswirksamkeit geht.

Für Österreich war es, nach dem Sieg Robert Menasses mit dem Brüssel-Roman „Die Hauptstadt“ 2017, heuer ein enttäuschendes Jahr. Kein heimischer Autor fand auf die (heuer nicht gerade aufregende) Shortlist aus sechs Autoren – was angesichts von Arno Geigers neuem Roman „Unter der Drachenwand“, der sich noch auf der Longlist gefunden hatte, besonders erstaunte. Geiger hatte einst, im ersten Jahr des Deutschen Buchpreises 2005, mit seinem Roman „Es geht uns gut“ den Preis gewonnen; es war damals ein Wettlauf der Österreicher – auch Daniel Kehlmanns Roman „Die Vermessung der Welt“ war auf der Shortlist und galt als Favorit (ein Welterfolg wurde er auch ohne Deutschen Buchpreis).

Seit dieser ersten Verleihung hatte sich auch gezeigt, dass der Fokus der Juroren auf wohl anspruchsvollen, aber zugleich für viele Leser zugänglichen, erzählfreudigen, nicht allzu avantgardistischen Romanen liegt. Und auf Inhalten aus dem kollektiven Erfahrungsraum – daher auch die Vorliebe der (jährlich wechselnden) Juroren für deutsche Zeitgeschichte. Schon Geiger hatte, wie einige Preisträger nach ihm, Familien- mit Kriegs- und Nachkriegsgeschichte verbunden.

Mahlkes Roman „Archipel“ (Rowohlt) fügt sich in diese Reihe. Allerdings spielt er nicht in Österreich und nicht in Deutschland, sondern auf einer Insel, auf der Mahlke oft ihre Ferien bei der Großmutter verbrachte: Teneriffa. Auch hier aber geht es um europäische Geschichte, in diesem Fall seit dem Ende des Ersten Weltkriegs. Die Autorin erzählt die Geschichte stückwertartig rückwärts, beginnend mit der Gegenwart (genauer gesagt 2015) und endend mit 1919 – und der furchtbaren Grippeepidemie.

US-Firmen: Weg mit der Geschichte

Orte bleiben hier, nur ihre Namen ändern sich, Familien bleiben, nur die Einzelnen darin verschwinden. Mit dem Bild der Inselgruppe, des Archipels, spielt die Autorin dabei in vielerlei Form – etwa bei der Schilderung menschlicher Beziehungsgeflechte. Die scheinbare Rettung aus der Zwangsjacke der Geschichte verspricht in der Gegenwart schließlich eine Gruppe von US-Unternehmern. Man will eine neue künstliche Insel schaffen, die nicht mehr von der Last der Geschichte niedergedrückt und verformt ist. – Ja, wäre der Deutsche Buchpreis kein deutscher, sondern ein US-amerikanischer, vielleicht wäre er auch nicht so von (Zeit)Geschichte beschwert.

Hinter dem 2005 nach dem Vorbild des Booker Prize kreierten Deutschen Buchpreis, der jedes Jahr zum Auftakt der Frankfurter Buchmesse vergeben wird, steht der Börsenverein des Deutschen Buchhandels. Die Aufmerksamkeit der Lesergemeinschaft in der unübersehbaren Fülle von Neuerscheinungen auf einige, mehrheitsfähige gute Romane zu lenken, ist sein Ziel. Aufmerksamkeit wird jedes Jahr auch den übrigen Romanen auf der sechsköpfigen Shortlist reichlich zuteil. Sie stammten heuer von vier Autorinnen und zwei Autoren: außer Mahlke noch Nino Haratischwili („Die Katze und der General“, Maria Cecilia Barbetta („Nachtleuchten“), Maxim Biller („Sechs Koffer“), Susanne Röckel („Der Vogelgott“) und Stephan Thome („Gott der Barbaren“).

Dass heuer ein Roman der gebürtigen Georgierin Nino Haratischwili in der Endauswahl landete, passt zur diesjährigen Frankfurter Buchmesse: Georgien ist das Gastland. Und wer über dieses Land eine grandiose, fulminant erzählte Familiensaga über sechs Generationen lesen will, der greife am besten gar nicht zu einer Neuerscheinung – sondern zu Haratischwilis schon zum Klassiker gewordenen Roman „Das achte Leben“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.10.2018)

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