T.C. Boyle: Der Autor, der über die Zukunft Bescheid weiß

T.C. Boyle Mitte November bei einer Autogrammstunde in Berlin
T.C. Boyle Mitte November bei einer Autogrammstunde in Berlinimago/Lars Reimann
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Der amerikanische Bestsellerautor T.C. Boyle feiert seinen 70. Geburtstag. Er schreibt Literatur wie Rock’n Roll und Kino.

T.C. Boyle ist mit 70 auf Twitter aktiver denn je zuvor. Das hat er mit jemandem gemeinsam, der ungefähr so alt ist wie er, und den Boyle abgrundtief hasst. Gemeint ist der amerikanische Präsident Donald Trump. „Ich kann nur hoffen, dass wir die nächsten vier Jahre überleben“, sagte er nach dessen Wahlsieg. Seither erlahmt seine Wut nicht. „Our beloved leader“ wird bei jeder Gelegenheit mit Hohn und Spott übergossen.

Auch in seinen zahlreichen Romanen und Erzählungen hat sich der berühmte Autor mit dem Frank-Zappa-Bärtchen und dem wirren Haar gerne mit exzentrischen Figuren beschäftigt. Die Bücher sind populär geworden, weil hier ein begnadeter Erzähler am Werk ist, weil er spannende Plots entwirft, weil schräge Vögel in sarkastischer und witziger Sprache präsentiert werden. Boyles Bücher rocken, sind perfekte Unterhaltung. Man merkt ihnen nicht an, wie gründlich die Recherchen dahinter sind. Er bekennt sich auch dazu, Literatur soll Unterhaltung sein wie Rock'n Roll oder ein Kinofilm, sagte er. Vielleicht ist das der Grund, warum er den Literaturnobelpreis noch nicht erhalten hat.

Man sollte dem Krisengremium in Stockholm aber einen heißen Tipp geben: Boyle greift in seinen Texten aktuelle gesellschaftliche Probleme auf, manchmal geht es um nicht weniger als um das Überleben auf unserem Planeten. Seine Leser werden nicht nur unterhalten, sondern zum Denken geführt. Er habe keine Lust, sagte er, über Professoren zu schreiben, die sich in eine Studentin verlieben und sich scheiden lassen. Wenn das nicht eine Anspielung auf den Kollegen Philip Roth ist.

Boyle, Trump und die Mauer an der Grenze

Was geradezu unheimlich ist: Seine prophetische Gabe. Man denkt da natürlich zuerst an seinen Bestseller „The Tortilla Curtain“ (auf deutsch: „América“), einen Roman wie von John Steinbeck. Er liest sich wie eine düstere Illustration der aktuellen Debatte um Trump und die mexikanischen Einwanderer. Die heile Lebenswelt auf der anderen Seite, ihre Bedrohung durch dunkelhäutige, verdächtige Zuwanderer, die im Gelobten Land ihr Glück finden wollen, auf der anderen. Das führt im Roman zu rassistischen Emotionen, Liberale werden, wenn es um Immigration geht, reaktionär. Auch das Thema eines Mauerbaus an der mexikanischen Grenze taucht bereits auf. „Soll man die Grenzen dichtmachen?“ wurde Boyle 1996 in einem ZEIT-Interview gefragt. Seine Antwort: „Kein Land auf der ganzen Welt hat offene Grenzen. Vielleicht gibt es eine humanitäre Verpflichtung. Aber es gibt nationale Souveränität. Und wenn es sie gibt, muss es Grenzen geben.“ Sehr viel weiter sind wir in der Diskussion 22 Jahre später auch noch nicht gekommen.

Manchmal braucht man einen Schriftsteller, um einen Blick in die Zukunft zu werfen. In einer noch nicht ins Deutsche übersetzten Erzählung mit dem Titel „Are We Not Men“ schreibt Boyle darüber, wie in China erstmals Menschen mit der Genschere Crispr manipuliert werden. Here we are. Man brauchte in dieser Woche nur die Meldungen über den durchgeknallten chinesischen Wissenschaftler zu lesen. Boyle befürchtet in der Zukunft eine Art „Überlegenheitsrassismus“ der genetisch Modifizierten gegenüber den „Normalen“: „Es wird der Punkt kommen, an dem Menschen als weniger wert gelten“, sagt er in einem am Samstag erschienenen Interview mit der Berliner taz.

Nicht immer gelingt ihm alles, wenn er über Mensch und Natur schreibt. Wenn ein Autor so produktiv ist, kommt auch Entbehrliches zustande. Sein Roman "Die Terranauten", in dem er über ein tatsächlich stattgefundenes Biosphärenexperiment, eine Art Arche Noah, schreibt, ist ihm schlicht zu lang geraten. Doch Boyle hat noch viel vor. Im Jänner erscheint auf Deutsch "Das Licht". Der Roman ist dem Guru der Hippie-Bewegung Timothy Leary gewidmet, der für den freien Drogenzugang (LSD) kämpfte. Thema ist also einer der großen Egomanen, wie der Sexualforscher Alfred Kinsey, der Gesundheitsapostel John Harvey Kellog oder der legendäre Architekt Frank Lloyd Wright Ihnen allen hat Boyle Romane gewidmet. Im Februar 2019 wird er eine Lesetournee durch Deutschland und Österreich machen. Manche Säle sind jetzt schon ausgebucht.

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