Ein Leben als ewiger Fremder

Min Jin Lee beschreibt lebendig das harte Schicksal der Zainichi, der Koreaner in Japan.
Min Jin Lee beschreibt lebendig das harte Schicksal der Zainichi, der Koreaner in Japan. (C) Elena Seibert
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Min Jin Lees faszinierender Generationenroman erzählt eine schmerzvolle, verdrängte Geschichte: die Diskriminierung der Koreaner in Japan.

Zainichi – so nennt man in Japan eingewanderte Koreaner, viel zu oft noch mit herablassendem Unterton: Koreaner gelten als Menschen zweiter Klasse, werden bei Jobs oder Wohnungssuche diskriminiert. „Zainichi“ bleiben „Ausländer“, viele haben weiterhin keine Staatsbürgerschaft, obwohl sie seit mehreren Generationen in Japan leben und nie Korea besucht haben: Die meisten Koreaner sind während der japanischen Kolonialzeit in Korea (1910–1945) emigriert.

Diese schwierige Geschichte hat die amerikanische Autorin Min Jin Lee nun erzählt. Zwanzig Jahre lang hat sie an ihrem umfangreichen Generationenroman gearbeitet, für den sie in den USA mit dem National Book Award ausgezeichnet wurde. Darin nimmt sie den Leser mit auf eine Reise in eine unbekannte Welt, die schnell vertraut und nahe wird. Denn Lee schreibt über universelle Themen: über Fremdsein, Identitätssuche und das Bedürfnis, angenommen zu werden, über die erbarmungslose Ignoranz von Vorurteilen. Vor allem aber beschreibt sie die Kraft einer Familie, in der Wärme und Zusammenhalt auch die heftigsten Schicksalsschläge überlebt.

Viel Wut, viel Fleiß.
Der Roman spannt den Bogen vom Korea der 1930er-Jahre ins Japan des Jahres 1989. Das arme Fischermädchen Sunja verliebt sich in den weitaus älteren Hansu, einen charismatischen Geschäftsmann. Als Sunja schwanger wird, „rettet“ sie der sanfte Pastor Isak: Er heiratet sie und zieht mit ihr nach Japan. Dort wohnen sie bei Isaks Bruder und seiner Frau im koreanischen Ghetto in Osaka, erdulden stoisch die täglichen Demütigungen und Schikanen als zweifache Minderheit – Christen und Koreaner. Isak wird festgenommen, überlebt das Gefängnis nicht. Sunjas Kinder werden in der Schule als Koreaner gehänselt. Der ältere Sohn reagiert mit verbissenem Fleiß, der jüngere mit Wut. Bittere Armut erschwert dieses harte Leben zusätzlich. Doch die Familie hält zusammen – passt sich an und überlebt den Krieg, dank Sunja und ihrer Schwägerin, die Süßigkeiten verkaufen.

Nach dem Krieg erfolgt der finanzielle Aufstieg, der soziale aber bleibt weiterhin aus. Da „Zainichi“ in vielen Berufen keine Chance auf einen Job haben, arbeiten viele in der Glücksspielbranche, im Pachinko-Business. So auch Sunjas Söhne. Trotz Erfolgs werden sie von Japans Mittelschicht weiterhin geächtet: Sie bleiben in den Augen vieler Japaner „typische Koreaner“, also laute, ungehobelte „Gangster“. Auch Sunjas Enkelsohn, ausgebildet an internationalen Schulen und US-Eliteuniversitäten, wird von den Vorurteilen nicht verschont werden.


Widersprüchliche Identitäten. Lee beschreibt eindringlich dieses lähmende Gefühl der Ausgrenzung, die Machtlosigkeit gegen Vorurteile: Da ist der stille koreanische Schüler, der sich umbringt, weil er die Sticheleien seiner Klassenkameraden nicht mehr erträgt. Oder Sunjas Sohn Noa, der seine Herkunft und Familie verleumdet, um als Japaner anerkannt zu werden – und scheitert. Schuldzuweisungen oder ein vereinfachendes Opfer-Täter-Schema vermeidet die Autorin jedoch, sie konzentriert sich auf Schattierungen: Sunjas Kinder und Enkel sind in Japan daheim und wollen dort leben, sie sind Teil der japanischen Gesellschaft und Geschichte; ihre besten Freunde, ihre großen Lieben sind Japaner. Sie verteidigen Japan gegenüber Kritikern, denn sie fühlen sich durch Pauschalverurteilungen persönlich beleidigt. Dieser spannende Roman fasziniert auch deshalb, weil er so überzeugend die komplexe und oft widersprüchliche nationale Identitätsfrage stellt und zeigt, dass es einfache Antworten nicht gibt.

Lee hat dieses harte Kapitel der Geschichte Ostasiens lebendig gemacht, indem sie mit viel Wärme vom Leiden und von den Glücksmomenten ganz normaler Menschen erzählt, von ihren Versuchen, das Schicksal herauszufordern. Deshalb sind die Heldinnen des Romans auch die Frauen: Diese unermüdlichen Kämpferinnen des Alltags retten und schützen ihre Familien – durch ihren Pragmatismus, ihre Anpassungsfähigkeit und ihre feste Verankerung in der Gegenwart.

Neu Erschienen

Min Jin Lee:
„Ein einfaches Leben“

Übersetzt von Susanne Höbel
dtv, 552 Seiten, 24,70 Euro.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.12.2018)

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