Jung, weiblich, Drogendealerin

Eine moderne Queen of Crime: Melissa Scrivner Love.
Eine moderne Queen of Crime: Melissa Scrivner Love.(c) Becca Murray
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Drei Autorinnen zeigen, dass Frauen im Krimi nicht länger auf die Rolle von Ermittlerin oder Opfer reduziert werden können. Sie dürfen auch planvoll vorgehende Verbrecherinnen sein.

Die berühmte britische Krimiautorin Agatha Christie beschrieb ihre Detektivgeschichten einmal als direkte Nachkommen des Moralstücks, in dem das Gute über das Böse siegt. Auch das Rätsel – der Täter oder die Täterin werden erst ganz zum Schluss enttarnt – spielte in ihrem Werk stets eine große Rolle. Was würde die „Queen of Crime“ wohl zu dem neuen Trend bei weiblichen Krimiheldinnen sagen? Dieser lässt sich in drei Worten zusammenfassen: jung, weiblich, Drogendealerin. Sie stehen auf der anderen Seite des Gesetzes, schrecken vor Mord nicht zurück und sind machtbesessen. Sie handeln unmoralisch und mit Drogen. All dies war bislang Männern vorbehalten.

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Auch für Rätselhaftes ist kein Platz. Von Beginn an stellen Melissa Scrivner Love, Tess Sharpe und Jules Grant – Vertreterinnen dieser neuen Art des Kriminalromans – klar, dass ihre Figuren einen fragwürdigen moralischen Kompass aufweisen. Egal, ob Lola, Chefin einer Latino-Gang in L.A., Donna aus der Unterwelt in Manchester oder die in der US-Provinz beheimatete Harley – diese drei jungen Frauen bewegen sich in einer brutalen, von Männern dominierten Welt.

Unterschätzte Größen. Sie haben nur einen einzigen Vorteil, den sie bedingungslos ausspielen, um im skrupellosen Spiel um Macht, Drogen und Geld nicht rasch im Leichensack (oder noch schlimmer in irgendeiner Säure aufgelöst) zu enden: Sie werden unterschätzt. „Die wichtigste Lektion war: Sogar ein Mann, der dich liebt und der sein ganzes Leben damit zugebracht hat, etwas Starkes und Mächtiges aus dir zu machen, sogar dieser Mann wird dich höllisch unterschätzen, nur weil du eine Frau bist“, heißt es etwa in Tess Sharpes „River of Violence“.

(c) Heyne

Qualitativ unterscheiden sich die drei Kriminalromane durchaus. Die üblichen Zutaten eines Mainstream-Thrillers – rasant, ein wenig oberflächlich und klischeehaft, ein übertriebener Showdown – weist Melissa Scrivner Loves „Lola“ auf. Eigentlich wenig verwunderlich, hat sich die Autorin doch bereits als Drehbuchautorin für TV-Serien wie „CSI Miami“ und „Person of Interest“ einen Namen gemacht. Die Fortsetzung des Überlebenskampfes einer nur auf den ersten Blick niedlichen Frau in einer Macho-Welt wird 2020 erscheinen. Love wird vermutlich auch der größte kommerzielle Erfolg des Autorinnen-Trios beschienen sein.

Manche Dinge wirken allerdings konstruiert und ihre Ghetto-Welt bleibt seltsam sauber und bieder. Die größte Schwäche der jungen Autorin ist es aber wohl, dass sie sich immer wieder bemüßigt fühlt, das Handeln ihrer Figur zu rechtfertigen. Es wirkt fast so, als müsse man die Handlungen einer Frau, die Dinge tut, die für Männer normal sind, besonders begründen.

(c) dtv

Das ist bei der britischen Kollegin Jules Grant in „Die Nacht ist unser Haus“ wohltuend anders. Was in der lesbischen Girlgang der Brontes abgeht, ist anarchischer und schmutziger. Die Mitglieder dieser Gang agieren nicht immer rational, sind ein Haufen gescheiterter Existenzen, die mitunter seltsam drauf sind. Sie haben keinen großen Plan. Das macht die Sache authentischer. Bloß versandet die Geschichte gegen Ende hin ein wenig.

Nicht ganz ohne Moral. Am überzeugendsten ist Tess Sharpes Buch, das den Leser schon mit dem ersten Satz packt: „Ich bin acht, als ich zum ersten Mal erlebe, wie mein Daddy einen Mann umbringt“. Danach erzählt sie auf 500 Seiten die fesselnde Geschichte von Harley McKenna, die von ihrem Vater gnadenlos gedrillt wird, um einmal sein Drogenimperium zu erben. Doch dieses Mädchen reift zu einer jungen Frau heran, die ganz genau weiß, was sie will. Sie verfolgt ihre eigenen Ziele, die sie ebenso skrupellos umzusetzen weiß wie ihr Vater.

Lola, Donna und Harley sind abgebrühte, vom Leben gezeichnete Figuren, die schwere Entscheidungen treffen müssen. Vielleicht könnte aber sogar Agatha Christie mit ihren kriminalliterarischen Nachkommen gut leben. Denn ganz ohne Moral geht es auch bei diesen neuen Anti-Heldinnen nicht. Lola kümmert sich um ein vernachlässigtes Kind, ebenso wie Donna, die für die Tochter ihrer getöteten Freundin sorgt. Und Harley hat es sich überhaupt zur Lebensaufgabe gemacht, von Männern geschlagenen Frauen Schutz zu bieten.

Neu Erschienen

Melissa Scrivner Love
„Lola“
übersetzt von S. Koch, A. Stumpf
Suhrkamp
391 Seiten
15,40 Euro

Jules Grant
„Die Nacht ist unser Haus“
üb. v. V. Siegemund
Heyne
352 Seiten
10,30 Euro

Tess Sharpe
„River of Violence“
übersetzt von Beate Schäfer
dtv
512 Seiten
15,40 Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.04.2019)

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