Der französische Starautor erhält den Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur.
Eine ungewöhnliche, nämlich islamisch dominierte „Vision von Europa, ein echtes Zivilisationsprojekt“ zeichnete er in „Unterwerfung“ (2015); in „Serotonin“ (2019) ließ er einen verarmten Landadligen die EU-Agrarpolitik geißeln, lobte aber die Erasmus-Stipendien, „die den sexuellen Austausch zwischen europäischen Studenten so sehr vereinfachen sollten“. In Michel Houellebecqs Werk findet sich auch viel Galliges, Geistreiches und Garstiges über Europa und EU. Und so haben wohl manche wissend gelächelt über die Nachricht, dass ihm nun der Österreichische Staatspreis für Europäische Literatur zugesprochen wurde.
Doch dieser mit 25.000 Euro dotierte Preis, den die Republik seit 1965 vergibt, den schon Milan Kundera, Simone de Beauvoir und Salman Rushdie bekommen haben, hat keine politische Tendenz. Er ist eine reine Auszeichnung des literarischen Gesamtwerks eines Autors, ohne Rücksicht darauf, ob dieser mehr oder weniger „glühender“ Europäer ist. Die Jury – Verleger und Buchhändlerpräsident Benedikt Föger, Schriftsteller Walter Grond, Residenz-Chefin Claudia Romeder und die Literaturwissenschaftler Daniela Strigl und Norbert Christian Wolf – hat mit der Wahl Houellebecqs gewiss kein Zeichen für oder gegen europäische Politik – was immer man darunter verstehen mag – setzen wollen. So ist in der Begründung von „zum Teil extrem provokanten Diagnosen“ und – man möchte sagen: naturgemäß – von „Übertreibungskunst“ die Rede. Aber auch vom „enttäuschten Idealismus seiner gebeutelten, lächerlichen, letztlich stets scheiternden männlichen Helden“.
Sahnetörtchen auch in Salzburg?
Verliehen wird der Preis am 26. Juli im Salzburger Mozarteum. Man darf gespannt sein, ob Kulturminister Gernot Blümel für Houellebecq ähnliche Worte finden wird wie für die letztjährige Preisträgerin, Zadie Smith (ihre Werke „leisten einen wesentlichen Beitrag zu einem Gefühl der europäischen Identität“, sagte er). Und viele werden wohl bald nach österreichspezifischen Stellen bei Houellebecq suchen. Fündig wird man etwa in den „Elementarteilchen“ (1999). Dort nennt der Erzähler die Wiener Aktionisten die Vorfahren der „Serial Killers der 90er-Jahre“ und erklärt: „Unter dem Deckmantel eines Happenings hatten Nitsch, Muehl oder Schwarzkogler öffentlich Tiermassaker vollzogen.“ Auf dass sich wieder erfülle, was die Jury routiniert so ausdrückt: „Houellebecq ist ein Schriftsteller, der niemanden kalt lässt, ein Romancier, der uns bewegt und zur Auseinandersetzung zwingt.“
Wer Harmloseres will, freut sich vielleicht an der Stelle in „Unterwerfung“, an der der islamische Uni-Präsident beklagt, dass an der Bar des Brüssler Hotel Métropole keine „Wiener Schokoladenspezialitäten und Sahnetörtchen“ mehr serviert werden. Auch über die Übersetzung lässt sich streiten.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.05.2019)