„Du garstiger Frosch“, rief die Prinzessin

(c) AP (RICHARD DREW)
  • Drucken

Märchen. Dornröschen, Schneewittchen oder Aschenputtel taugen zwar nicht als Vorbilder, sind aberallemal besser als ihr Ruf. Vor allem, wenn man sie mit den Grimm'schen Prinzen vergleicht.

Eigentlich ziemlich frech: die Prinzessin, deren goldener Ball vom Froschkönig aus dem Brunnen geholt wurde. Er dürfe in ihrem Bettchen schlafen, hat sie ihm versprochen. Und dann will die Prinzessin ihm nicht einmal die Tür aufmachen! Erst die väterliche Moralpredigt lässt sie einlenken – vordergründig: Bei erstbester Gelegenheit packt sie das Tier – und schmeißt es an die Wand.

Genau: Sie schmeißt den Frosch an die Wand, so steht es bei den Gebrüdern Grimm, so wurde es von Müttern, Großmüttern und Tanten in jener Zeit erzählt: Widerborstigkeit wurde belohnt, was später von Psychoanalytikern wie Bruno Bettelheim gern als sexuelle Verweigerung interpretiert wurde, ebenso wie der Prinzessin Scheu, in den tiefen Brunnen hinabzusteigen: „Die Geschichte vom Frosch [...] bestätigt, dass Widerwillen angebracht ist, wenn man noch nicht reif ist für die Sexualität, und bereitet darauf vor, dass sie etwas sehr Wünschenswertes ist, sobald die Zeit reif ist“, so Bettelheim in seinem Klassiker „Kinder brauchen Märchen“.

Man könnte die Geschichte natürlich auch prosaisch als Warnung verstehen: Geh nicht mit einem Mann ins Bett, sonst heiratet er dich nie!

Knigge für die künftige Braut?

Ob solche Interpretationen jenen in den Sinn gekommen sind, die den „Froschkönig“ später umgeschrieben haben? Jüngere Versionen haben jedenfalls die durchaus mehrdeutige Geschichte geglättet – seitdem wird der Frosch bevorzugt geküsst, wofür man das Motiv aus einem anderen Märchen einbaute. Eine alles andere als geringfügige Änderung! Aus der Coming-of-Age-Story einer jungen Frau wurde knallharter Erziehungsstoff: Halte deine Versprechen, folge deinem Vater, und alles wird gut. Literaturwissenschaftler vermuten übrigens, dass die neue Version sich mit der Übertragung ins Englische durchsetzte. Dort gelten und galten eben für Prinzessinnen besonders strenge Regeln.

Das Märchen also als Knigge für die brave künftige Braut? Tatsächlich taugen Aschenputtel und Co. zwar nicht unbedingt als feministische Role Models, doch sie sind besser als ihr Ruf: „In der von Frauen überlieferten Literatur, den mündlich erzählten Märchen, die sich ja auch die Brüder Grimm von einer Frau, Dorothea Viemann, hersagen ließen, spielen die Mädchen eine relativ aktive Rolle“, schreibt die Autorin Ruth Klüger in ihrem Essay „Frauen lesen anders“. Märchen wie „Dornröschen“ oder „Aschenputtel“, so Klüger in einem Gespräch mit der „Presse“, sprächen tiefe weibliche Themen an. Das Thema der Pubertät etwa oder die Beziehung zwischen Mutter und Tochter.

Aber was ist eine Prinzessin? Kate Middleton ist – ganz streng genommen – keine: Sie ist Her Royal Highness, Princess William of Wales. Ein feiner, bedeutsamer Unterschied. Um „richtige“ Prinzessin zu sein, muss man in Großbritannien von königlichem Geblüt sein (auch Diana war keine Prinzessin). Und in Frankreich war der Titel princesse – die Bezeichnung kommt von princeps, dem Ersten – der Frau des Fürsten selbst vorbehalten und nicht ihren Töchtern.

Hochgeheiratet oder von Geblüt?

Im Märchen ist es einfacher: Dort lassen sich Prinzessinnen in zwei Kategorien einteilen: Die einen sind von königlichem Geblüt – darunter Schneewittchen, Dornröschen und die „Prinzessin auf der Erbse“, die im Übrigen als Abgrenzung gegenüber dem Bürgertum gelesen werden darf: Immerhin dient ihre Sensibilität der Schwiegermutter in spe als Beweis, dass sie von hoher Herkunft ist. (Dass das Bürgertum sich rächte und über die „Prinzessin auf der Erbse“ spottet, steht auf einem anderen Blatt.) Prinz muss Prinzessin heiraten, zumindest sollten die Adeligen unter sich bleiben: Diana stammte im Gegensatz zu Kate Middleton aus adeligem Haus.

Die zweite Kategorie umfasst Prinzessinnen wie Schneeweißchen und Rosenrot, Rapunzel oder Aschenputtel (Disney hat den Namen Cinderella übrigens nicht erfunden, sondern die französische Version „Cendrillon ou La petite pantoufle de verre“ geplündert). In diesen Märchen heiraten sich Mädchen bürgerlicher Herkunft hoch – oft sind die Eltern wohlhabend wie die Middletons (Aschenputtels Vater ist ein reicher Kaufmann). Die Mädchen werden von den Prinzen erwählt, weil sie schön sind oder kleine Füße haben oder wunderbare lange Haare – und weil sie warmherzig sind. Manchmal, wie in „Schneeweißchen und Rosenrot“, sind sie auch mutig, erschlagen den Zwerg, der ihnen ihre Gutherzigkeit mit Bosheit vergilt, und retten so den Prinzen.

Prinz Namenlos

Soweit zu den Prinzessinnen. Aber was ist mit den Prinzen? Sie tauchen in vielen Märchen meist erst gegen Ende der Geschichte auf – und haben weiter nicht viel zu tun: Sie lassen die leblose Geliebte in einen gläsernen Sarg stecken und ins Schloss tragen. Sie räumen Rosenbüsche beiseite und geben der Verwunschenen einen Kuss (auch dieses Märchen vom „Dornröschen“ wurde von Bruno Bettelheim so interpretiert, dass erst jetzt die junge Frau zum ersten Sex bereit ist). Sie passen Schuhe an und protestieren nicht, wenn jungen Mädchen die Fersen abgehackt werden. Oder sie lassen sich – wie in „Schneeweißchen und Rosenrot“ – von zwei Schwestern retten. Dann dürfen sie heiraten. Und glücklich werden bis an ihr Ende.

Prinzessinnen mögen fad sein. Prinzen und Könige auf Brautschau sind noch wesentlich fader. So fad, dass sie sogar namenlos bleiben! Außer König Drosselbart. Aber auch das ist nur ein Spitzname: verliehen von einer spottlustigen Prinzessin.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.04.2011)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.