Mankell: „Europas Zentrum ist Lampedusa“

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Der schwedische Autor und Theaterregisseur, Henning Mankell, über Gefahren für das Theater, die Umstürze in Nordafrika und Schlingensiefs „Operndorf“ in Burkina Faso.

Die Presse: Wie geht es dem Theater im Zeitalter von Facebook, Twitter und einer allgemeinen Kommunikationskultur, der die Unmittelbarkeit des persönlichen Treffens fehlt?

Henning Mankell: Wo ist heute das Geld? Im Film- und Fernsehgeschäft. Wir müssen daher aufpassen, dass das Theater nicht in einer Situation endet, in der es kein Geld mehr gibt. Denn das Theater ist einer der letzten lebendigen Treffpunkte. Deshalb müssen wir es verteidigen – immer und überall, wo es möglich ist.

Stirbt das Theater?

Ich wäre sehr besorgt, was passieren würde, wenn es stirbt. Mithilfe der Technik kann man heute alles in den eigenen vier Wänden machen. Im Gegensatz dazu kommt das Theater ohne Technik aus: Es ist die Basis für alle Formen kommunikativer Kunst, beschränkt auf ein Wechselspiel zwischen Schauspieler und Publikum. Als Schauspieler weiß man um die Einmaligkeit des Augenblicks. Wenn wir das verlieren würden, wäre es schade. Aber ich bin überzeugt, dass das Theater niemals sterben wird, solange es Menschen gibt.

Ist Theater ein Lebensmittel?

Ja. Das Theater war immer eine Basis, damit sich Menschen besser verstehen können. Es ist eine Kunst ohne irgendwelche Grenzen. Egal, ob man dieselbe Sprache spricht: Man kann Theater miteinander spielen.

Sie führen in Mozambique seit 25 Jahren ein Theater, kennen den Kontinent: Was sagen Sie zu den revolutionsähnlichen Entwicklungen in Nordafrika?

Ich bin sehr glücklich über das, was dort passiert ist. Auch wenn noch unklar ist, was jetzt kommen wird: Diese Länder können nie mehr zurück in den Status, der zuvor geherrscht hat. Ich glaube daher, wir sollten jenen Menschen, die versuchen, die Gesellschaft in diesen Ländern von Diktaturen hin zu Demokratien zu reformieren, so viel Unterstützung wie möglich geben. Es besteht zwar kein Grund für Pessimismus, aber wir müssen vorsichtig sein.

Ihr Stück, das am 9. Juni im Rahmen eines Projekts mit dem steirischen Fenster- und Türen-Hersteller Gaulhofer in Übelbach Premiere haben wird, heißt „Doors“. Darin geht es um die abschottende Wirkung geschlossener Türen. Wie beurteilen Sie die EU-Politik im Umgang mit den Entwicklungen in Nordafrika?

Ich frage mich manchmal: Wo ist das Zentrum Europas? Manche sagen, es liegt in Paris wegen der Künste, andere nennen London wegen der Wirtschaft. Ich aber glaube, das symbolische Zentrum Europas ist dieser Tage Lampedusa. Weil sich auf dieser kleinen Insel entscheidet, welche Art von Europa wir haben wollen. Was dort passiert, ist noch nicht das Ende. Und es ist auch nicht nur ein Problem Italiens. Es betrifft uns alle. Aber Europa geht mit dieser Herausforderung der Migration nicht sehr gut um. In Lampedusa sind die Türen nicht nur geschlossen, es ist rund um sie auch noch ein hoher Zaun gespannt. Warum bauen wir nicht eine symbolische Brücke von Nordafrika nach Gibraltar? Damit könnten wir die Probleme von Lampedusa lösen. Vielleicht verstehen wir eines Tages, dass Brücken wichtiger sind als Zäune.

Besteht die Gefahr, dass mit dem öffentlichen Fokus auf Nordafrika die Probleme des Kontinents südlich des Äquators vergessen werden?

Einer der großen Fehler Europas im Zusammenhang mit Afrika ist, dass wir über ein Afrika sprechen. Afrika besteht aus über 50 Staaten. Deshalb sollten wir über viele Afrikas sprechen. Im Gegensatz dazu geben die Massenmedien in Europa ein falsches, generalisierendes Bild von Afrika. Man sieht alles darüber, wie Afrika stirbt, aber nichts davon, wie Afrika lebt. Ich versuche, ein anderes Image des lebendigen Afrika zu zeichnen.

Christoph Schlingensief hat vor seinem Tod den Grundstein für sein „Operndorf“ in Burkina Faso gelegt. Sie haben nach Schlingensiefs Tod angekündigt, dieses Projekt weiterführen zu wollen. Was ist daraus geworden?

Ich bin noch immer traurig, diesen engen Freund verloren zu haben. Ich vermisse ihn, aber ich bin mir sicher, dass das Projekt in Burkina Faso weitergehen und überleben wird. Im kommenden Jahr planen wir eine Performance; der Gewinn daraus wird in das Projekt fließen. Es geht nicht um die Höhe des Betrags – es soll ein Zeichen sein.

Planen Sie neben dieser Arbeit noch andere Projekte in Afrika?

Nein. Ich schreibe ja auch. Ich plane ein Theaterstück über ein Treffen von Rembrandt mit Spinoza.

Haben Sie die obligate Frage nach der Zukunft Ihres Krimihelden Wallander vermisst?

Überhaupt nicht.

Wird es noch eine Folge geben?

Diese Sache ist abgeschlossen.

Henning Mankells Stück „Doors“ hat im Rahmen eines Projekts mit dem steirischen Fenster- und Türenhersteller Gaulhofer am 9. Juni in Übelbach Premiere.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.06.2011)

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