Literaturtage: „wer ohne maul im rohr der sprache steckt“

Maketa Groves Verena Mayer
Maketa Groves Verena MayerKlauhs
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Literaturtage Sprachsalz in Hall/Tirol, 2011. Die Schweizer Plakatkünstler Christof Wolfisberg und Jonas Anderhub im "stummen Gespräch".

Üblicherweise kommt man zum Literaturfestival „Sprachsalz" nach Hall in Tirol, um sich vorlesen zu lassen. Nicht so bei „Ohne Rolf". Hinter diesem Künstlernamen verbergen sich die beiden jungen Schweizer Plakatkünstler Christof Wolfisberg und Jonas Anderhub. Das einzige, was man bei ihren Auftritten zu hören bekommt, ist das Rascheln von Papier. Und zwar, wenn sie die Plakate aus ihrem „Zauberkasten" holen und vor sich aufhängen. Darauf ist dann ein Dialog zu lesen, der an Sprachwitz und Situationskomik nichts zu wünschen übrig lässt.

Unterstrichen wird das „stumme Gespräch" von der Mimik und Gestik der Künstler. Der Auftritt der beiden Eidgenossen war der Höhepunkt des Samstagabends bei den von 9. Bis 11. September stattfindenden Internationalen Tiroler Literaturtagen „Sprachsalz".
Im neunten Jahr der Veranstaltung war aufgrund des prächtigen Wetters die Terrasse des Parkhotels stets prall mit Publikum gefüllt. So auch bei der aus San Francisco angereisten Underground-Lyrikerin Maketa Groves. Sie wuchs in New Orleans auf und nahm von dort den Blues mit an die Westküste. „Ich bin das Gras, das sich weigert, überall aufzugehen", lautet eine ihrer Gedichtzeilen, die Verena Mayer auf Deutsch vorlas. Sozial engagierte, feministische Lyrik, die man so aus den Staaten nicht erwarten würde.

Überhaupt: Allen, die die Lyrik schon abgeschrieben haben, sei als Therapie eine Reise nach Hall dringend empfohlen. Da spielt der hierzulande wegen seines legendären Auftritts beim Bachmann-Preis noch dunkel in Erinnerung gebliebene Urs Allemann mit der Sprache, dass sogar Gerhard Rühm erblassen könnte. Es schüttelt und reimt nur so, dass man ganz schwindlig wird. Keineswegs zu Unrecht wurde der Schweizer Dichter deshalb als Sprachlüstling, Spielgott und Poesieperformer vorgestellt. „wer ohne maul im rohr der sprache steckt", wie es bei Allemann heißt, der kann auch eine erfinden. Und das tat er denn auch am Abend, als er Gedichte in „Tölk" las; der Sprache einer Insel in der Nordsee, die laut Allemann manchmal untergeht und immer wieder auftaucht.

Perfektes Sprachspiel!

Tradition hat bei den „Sprachsalz-Tagen" die Lyrik der Beat Generation nach Allen Ginsberg. Diesmal war Gerald Stern zu Gast, dessen Eltern von Russland nach Amerika ausgewandert waren. Ihn interessiert, wie er sagt, was übersehen wird. Und daraus lassen sich wunderbare Gedichte machen. „Alles brennt" heißt der 2010 bei Matthes & Seitz erschienene Band, der ihn auch im deutschsprachigen Gebiet bekannt machen könnte, hätte die Lyrik hier den Stellenwert von Romanen. Stern brachte Anne Marie Macari mit, eine Poetin, die eindringliche Verse schreibt: „Selbst Erinnerung ist eine Art Hunger", lautet etwa eine Zeile. „Muttersein heißt aufbrechen" eine andere, wobei das bei der Mutter dreier Kinder sehr physisch gemeint ist. So schreibt sie etwa über die Geburt Jesu: „Es war Marias Blut, das ihn schuf ... zu pressen durch die Mauer dieser Welt".


Doch auch die Prosa ist in Hall gut vertreten. Der Shootingstar der russischen Literatur, Michail Schischkin, las aus seinem ausufernden Roman „Venushaar". Der 1995 in die Schweiz ausgewanderte Dolmetscher fabuliert und schwadroniert darin in bester slawischer Tradition über Gott und die Welt. Für ihn ist das Schreiben ein Gespräch, das man ohne Literatur mit Eltern, mit Freunden nie führen würde. Das sagte er bei einer Podiumsdiskussion zum Thema „Schreiben oder leben - wie die Welt ins Buch kommt". Das Lesen habe ihm geholfen, die Erniedrigungen in der Sowjetunion zu ertragen, meinte er. In der Literatur werden stets Gegenwelten zur realen Welt geschaffen, stimmte Norbert Gstrein bei. Es gebe nur wenige Autoren mit einer aufregenden Biografie. Das Leben käme durch den Tod in die Literatur, so Gstrein. Weil das Leben endlich sei, gäbe es das Bedürfnis nach Gegenwelten.


Eine solche entwirft auch der Ukrainer Taras Prochasko in seinem Band „Daraus lassen sich ein paar Erzählungen machen". Er zeichnet die Geschichte der letzten zwei Generationen auf und erinnert in seiner Groteske und Anarchie an den in Österreich lebenden Bulgaren Dimitré Dinev.


Nicht unbedingt das „Sprachsalz" in der reichhaltigen Literatursuppe Halls, aber eine lieb gewordene Tradition stellen die „Überraschungsgäste" dar. Gern gesehene Teilnehmer aus den vergangenen Jahren werden da nochmals nach Hall geholt. In diesem Jahr las Alban Nikolai Herbst die neunte seiner „Bamberger Elegien". Es ist eine Lyrik, die in ihrer Softmacho-Attitüde manches mit Wolf Wondratscheks Versen gemein hat. Der Überraschungsgast des Sonntagnachmittags ist der 2010 mit dem Leipziger Buchpreis ausgezeichnete deutsche Autor Georg Klein, der im Jahr 2000 bereits den Bachmann-Preis erhielt. Man darf gespannt sein.

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