NS-Vertreibung: „Ein Schatten auf meiner Seele“

NS-Vertreibung: „Ein Schatten auf meiner Seele“
NS-Vertreibung: „Ein Schatten auf meiner Seele“(c) ORF (Leo Hagen)
  • Drucken

Eine Kärntner Slowenin, eine Romni und eine Jüdin begegnen den Erinnerungen ihrer Großeltern an die NS-Vertreibung. Die „Schatten der Scham“ quälen auch die Enkel. Eine Spurensuche – am Samstag, ORF III.

Seit 24 Jahren arbeitet Sabina Zwitter-Grilc in der Minderheitenredaktion des ORF. Sie ist Kärntner Slowenin, ihr Vater wurde in der NS-Zeit deportiert und verbrachte drei Jahre in einem Lager. „In Wien traf ich mit Juden und Roma zusammen und da habe ich bemerkt, dass uns, die Vertreter der dritten Generation, noch immer etwas verbindet, das wir nicht einordnen können“, erzählt sie. Sie nennt es die „Schatten der Scham“ – so lautet der Titel ihrer Dokumentation über die Weitergabe von Traumata aus der NS-Zeit.

„Dadurch, dass das, was diesen Menschen passiert ist, und das Leid, das sie erfahren mussten, unter den Tisch gekehrt wurde, wurden diese Traumata immer größer“, ist Zwitter-Grilc überzeugt. „Das ist ein weltweites Problem: Man redet den Opfern ein, weniger wert zu sein. Irgendwann glauben sie es selbst – und werden dadurch mit Scham beladen.“ André Heller, einer ihrer Gesprächspartner in dem Film, kennt den Mechanismus: Die Opfer würden immer wieder zu Opfern – „Opfer der Ignoranz, Opfer der mangelnden Barmherzigkeit, Opfer der mangelnden Gerechtigkeit“, sagt er, der sich weigerte, ein Opfer zu sein.

André Hellers „Erweckungserlebnis“

Dass der Lehrer in Bad Aussee den Mitschülern riet, sich nicht neben ihn zu setzen, denn „in seinen Adern fließt böses Blut“, sei ein „Erweckungserlebnis“ gewesen, sagt Heller. Später fuhr er als Teenager nach Graz, um dem Büro des Landeshauptmanns zu berichten, dass in Bad Aussee Lieder gesungen wurden, in denen man den Juden neue Konzentrationslager in Aussicht stellte. Passiert sei nichts. Die alten Seilschaften aus der NS-Zeit funktionierten noch immer recht gut.

Minderheiten wurden wie Nestbeschmutzer und Störenfriede behandelt, meint Zwitter-Grilc: „Wir müssen sagen, was passiert ist – und verhindern, dass es noch einmal passiert.“ Roma würden auch heute noch verfolgt – in Ungarn, der Slowakei, auch Frankreich. „Das ist das Schlimmste: dass sich die Geschichte wiederholt.“

Durch die Doku führen drei junge Frauen – eine Kärntner Slowenin, eine Romni und eine Jüdin. Die Leiden der Großeltern liegen ihnen „wie ein Schatten auf meiner Seele“, erzählt eine zu Beginn. So fühlt es auch Autorin Lily Brett, die in Auschwitz gezeugt wurde und deren Mutter immer weinte, wenn sie von der Fabrik nach Hause kam. Es sind diese persönlichen Erzählungen, die „Schatten der Scham“ zu einem wichtigen Zeitzeugendokument machen. i. w.

„Schatten der Scham“: 4. 5., 20.15, ORF III

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.05.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.