Radio-Kritik: Will man denn am Mut Maß nehmen?

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Zur Berichterstattung über den Fünffach-Mord in Hietzing und Oberösterreich: Ist ein überführter, geständiger Täter nur ein „Verdächtiger“?

Der Mann hat fünf seiner Familienmitglieder erschlagen: Seine Frau, seine kleine Tochter, seine Eltern und seinen Schwiegervater. Nach einem missglückten Selbstmordversuch stellte er sich der Polizei, gestand die Tat, man fand Briefe, die dieses Motiv erklärten.

Soweit, so entsetzlich, und die Radiojournale haben immer wieder ausführlich darüber berichtet. Aber habe ich richtig gehört? Ist da wirklich nur vom „Tatverdächtigen“ gesprochen worden – da dieser doch ein volles Geständnis ablegte und auch die Spurensicherer akkurat gearbeitet haben? Aber es gilt ja, wie immer wieder gesagt wird, die Unschuldsvermutung.

Ich übertreibe. Sogar die Kolleginnen und Kollegen von den Nachrichtensendungen wissen, dass diesfalls nicht der Ermordete, sondern der Mörder schuldig ist – wenn man denn wagt, das Wort „mutmaßlich“ zu streichen. Es ist das wohl überflüssigste, das in der deutschen Sprache existiert. Schon allein die Wortbildung ist absonderlich – es sei denn, man will am Mut Maß nehmen. An diesem, dem Mut, mangelt es den politisch Korrekten. Ein Täter ist offenbar nach unserem Rechtsverständnis (?) solange ein mutmaßlicher, als er nicht gerichtlich verurteilt ist, Geständnis hin oder her. Er ist, wie man die Hörer lehrt, offenbar der Tat nicht einmal dann überführt, wenn er auf frischer ertappt wird, wenn er sie vor Augenzeugen begangen hat.

Gewiss, da sind die Menschenrechte, da ist vielleicht wirklich die viel zitierte Unschuldsvermutung. Aber hat nicht alles seine Grenzen? Ist ein überführter Täter nur ein Verdächtiger? Ich bitte inständig, jedenfalls das Wort „mutmaßlich“, wo es sich vermeiden lässt, aus den Nachrichten zu streichen. Ansonsten könnte eine (allerdings nicht gesprochene) Meldung folgendermaßen lauten: „Der mutmaßliche Witzbold Alfred G. ist verdächtig, in einem ausgezeichneten Rotwein produzierenden überseeischen Land von den Abgeordneten seiner Heimat behauptet zu haben, dass sie nach 16 Uhr nicht mehr arbeiten. Es gilt die Unschuldsvermutung.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.05.2008)

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