Großbritannien: Das Land, in dem die „Sun“ nie untergeht

(c) AP (Andy Styczynski)
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Die englische Massenpresse macht aus ihren jeweiligen Sympathien niemals ein Geheimnis.

LONDON. In diesem Blatt hat das Wort Schlag-Zeile echte Bedeutung. Das britische Massenblatt „Sun“ hat einst EU-Kommissionspräsident Jacques Delors ausgerichtet, er könne sich den Maastricht-Vertrag „sonstwo hinstecken“, und sie hat Ex-Premier Tony Blair als „gefährlichsten Mann Großbritanniens“ bezeichnet. Bis heute rühmt sie sich, 1992 den sicher scheinenden Sieg Labours verhindert zu haben: „Its The Sun Wot Won It.“

Kein anderes Blatt der Insel kann so wirkungsvoll Stimmungen und Kampagnen machen. Zwar ist die verkaufte Auflage mit zuletzt 3,1 Millionen deutlich unter dem Höhepunkt von weit über vier Millionen Mitte der 1990er. Doch an Macht und Einfluss hat die „Sun“ zuletzt eher noch gewonnen.

Der Abstand der „Sun“ zum einstigen Hauptgegner „Daily Mirror“ ist größer denn je. Zum zweiten wuchert die Zeitung so ungeniert mit ihrem Pfund, dass die Politik auf sie starrt wie das sprichwörtliche Kaninchen auf die Schlange. Tony Blair war der erste Labour-Führer, der die Lektion von 1992 verstand, und früh intensive Kontakte zur „Sun“ aufbaute.

Das hinderte das Blatt nicht, ihm gelegentlich auf die Finger zu klopfen (siehe oben) – insbesondere wenn er, Albion behüte!, Europa-freundliche Anwandlungen zeigte. Der australische Medienmogul Rupert Murdoch lässt sein Blatt nämlich eine gnadenlose Anti-EU-Linie fahren.

Gegenmodell „Guardian“

Dass Eigentümer die Blattlinie äußerst prononciert vorgeben, hat in Großbritannien freilich Tradition. Die meisten Zeitungen entstanden als Gründungen reicher Industrieller, die sie als Sprachrohr ihrer subjektiven Interessen gestalteten. Ein Gegenmodell stellte schon damals der „Guardian“ dar, der 1821 von einer Gruppe Liberaler gegründet wurde und sich bis heute durch eine komplexe Fondskonstruktion gegen eine Übernahme verteidigt und linksliberale Positionen vertritt. In dieser Tradition ist es auch selbstverständlich, dass jede britische Zeitung eine Wahlempfehlung gibt.

Die „Sun“ sprach sich zuletzt dreimal für Blair aus. Sein Nachfolger Gordon Brown kultiviert eher enge Beziehungen mit dem „Daily Mail“, dem Zentralorgan des britischen Kleinbürgertums. Seine Performance ist allerdings so miserabel, dass ihn selbst heimelige Homestories mit Frau und Kindern nicht mehr retten können.

Dazu mag ein schwerer taktischer Fehler beitragen, den Brown noch als Schatzkanzler beging. Da hatte er es sich zu einem persönlichen Anliegen gemacht, der BBC die beantragte Gebührenerhöhung massiv zu kürzen. Es ist nicht zu übersehen, dass die mit Abstand einflussreichste britische Rundfunkanstalt seither nicht gerade mit Sympathie über Wohl und Wehe des Premiers berichtet.

Saddam in der Unterhose

Das alles aber verblasst gegen die „Sun“, die keinen wie immer gearteten Objektivitätsgeboten verpflichtet ist. Murdoch selbst war es, der bei der Übernahme des Blattes 1969 „die drei S“ zur obersten Maxime erhob: Stars, Sensationen, Sex. Die Zeitung steht gegen Europa, für Law and Order, gegen Ausländer, für den sprichwörtlichen „kleinen Mann“.

Mit der Wahrheit nimmt man es nicht immer so genau, vor radikalen Ansicht hat man keine Scheu. Der Journalismus-Professor Roy Greenslade erläutert mit englischem Understatement: „Die Sun ist nicht gerade für Zurückhaltung bekannt“. Dafür hat sie „scoops“ wie keine andere Zeitung: Im Mai 2005 zeigte sie den inhaftierten Saddam Hussein in Unterhosen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.09.2008)

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