FAZ-Herausgeber: "Die Paywall wird auch bei uns kommen"

Jürgen Kaube, Herausgeber der FAZ
Jürgen Kaube, Herausgeber der FAZ(c) Frank Röth (Röth, Frank)
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Sein Vorgänger war Frank Schirrmacher, seit Jahresbeginn ist Jürgen Kaube der neue Herausgeber der „FAZ“. Mit der "Presse" sprach er über seine neue Aufgabe, sein Verhältnis zu Schirrmacher und die Zukunft des Feuilletons.

"Die Presse": Sie sind seit Jänner einer der vier Herausgeber der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ („FAZ“). Wie hat sich Ihr Berufsalltag verändert?

Jürgen Kaube: Er ist weniger kontemplativ. Ich habe vorher Sachbücher, Geisteswissenschaften, Universitätsdinge gemacht. Das waren Themen, die man mit Ruhe angehen konnte, weil der Aktualitätsdruck nicht sehr groß war. Jetzt habe ich natürlich einen Terminkalender und zwar einen ordentlichen. Und die Themen wechseln sich viel stärker ab. Es geht um Fragen, die mit der ökonomischen Situation der Zeitung zu tun haben, oder um neue Produkte, Reisekosten, Außenkontakte, Personal, und ich schreibe nach wie vor. Es ist also abwechslungsreicher geworden.

Haben Sie als einer von vier Herausgebern einen speziellen Aufgabenbereich?

Jeder Herausgeber ist bei uns für einen Teilbereich der Zeitung zuständig, also für Politik und Vermischtes, Wirtschaft und Sport, Feuilleton und Reise, Lokales. Alle anderen Themen werden gemeinsam diskutiert und entschieden.

Wissen Sie wie viele junge Menschen die „FAZ“ lesen?

Das Durchschnittsalter unserer Leser liegt unter dem Zuschaueralter des öffentlich-rechtlichen Fernsehens.

Das ist aber auch nicht so schwer...

... das ist tatsächlich kein großer Trost. Aber es gilt für die allermeisten Zeitungen, dass die stärksten Leserjahrgänge die von 1960 bis 1965 sind. Wobei 15-Jährige noch nie sehr stark unter den "FAZ"-Abonnenten vertreten waren. Es schwingt bei mancher Panik „Die Jugend liest nicht mehr“ ein Kulturpessimismus mit, den ich nicht plausibel finde. Natürlich müssen wir uns um den Nachwuchs kümmern. Natürlich wirft die Umsonst-Kultur im Internet Fragen auf. Es gibt dort sehr gute Sachen, aber auch Vieles, dem man es ansieht, dass die Kosten der Produktion gering sind. Unsere Aufgabe ist, den Leuten zu zeigen, dass es sich lohnt und sinnvoll ist, wenn sie kostenpflichtig lesen.

Sie sind auf den 2014 überraschend an einem Herzinfarkt verstorbenen Frank Schirrmacher gefolgt. Zu seinem ersten Todestag am 12. Juni konstatierte „Die Welt“, das deutsche Feuilleton und das der „FAZ“ gäbe es „als Schirrmachers Schicksalsort nicht mehr“. Den Text schrieb Dirk Schümer, ein langjähriger "FAZ"-Autor, der kurz nach Schirrmachers Tod zur "Welt" wechselte. Was kontern Sie auf diese Kritik?

Die Vorstellung, dass Gegenwart und Zukunft des Feuilletons an der Präsenz eines Charismatikers hängen, ist, vorsichtig gesagt, stark übertrieben. So wichtig ist eine einzelne Person nicht. Insofern kann man den Klagegesang vom Ende des Feuilletons nur zur Kenntnis nehmen. Die Behauptung, es würden keine Debatten mehr geführt, stimmt einfach nicht. Wir führen praktisch jeden Tag Debatten. Ob man die Zeitung, die man gerade verlassen hat, dafür verantwortlich machen will, dass etwas schiefläuft, ist eine Geschmackssache. Ich denke, jeder sollte dort, wo er gerade ist, versuchen, ein gutes Feuilleton zu machen.

Ihr Kollege Günther Nonnenmacher sagte in einem Interview sinngemäß: So berühmt Schirrmacher war, die Auflage der „FAZ“ konnte auch er nicht steigern.

Das ist ein sehr realistischer Gesichtspunkt, und wer könnte denn etwas gegen Realismus haben? Manche Journalisten neigen dazu, für andere Journalisten zu schreiben und dauernd die Zukunft des Journalismus zu erörtern. Wenn dann das Feuilleton als Schicksalsort der Gesellschaft bezeichnet wird, finde ich das stark übertrieben. Wer so redet, muss sich schon sehr viel auf die eigene Rolle einbilden. Schicksalsorte der Gesellschaft sind ganz andere Orte: die Börsen, die Parlamente, die Familien oder Labors, in denen Epidemien bekämpft werden. Über die sollten wir schreiben, aber uns selbst für einen solchen Ort zu halten, finde ich hochmütig und eitel.

Wie würden Sie das Feuilleton dann stattdessen umschreiben?

Ein Feuilleton muss durchdacht und kundig sein. Es muss mit intelligenten Lesern rechnen. Es darf den Kontakt zu den Wissenschaften nicht verlieren, also zu den Leuten, die ständig die Welt erkunden, ganz gleich, ob es Klimaforscher, Soziologen, Kunstgeschichtler sind. Und ein Feuilleton muss überraschen. Es macht einen Fehler, wenn es sehr berechenbar ist und man ganz genau weiß, jetzt werden sie auf dieses oder jenes Thema aufspringen.

Sie sprechen heute in Wien auf Einladung des Verlegerverbands VÖZ über die Anforderungen des Feuilletons in einer digitalisierten Welt. Welche sind denn das etwa für den neuen Feuilletonchef der "FAZ" Edo Reents?

Natürlich hat Frank Schirrmacher die Standards sehr hoch gesetzt, was die Beschäftigung mit Themen jenseits oder diesseits der Künste angeht, also mit Debatten. An solchen Debatten mangelt es nicht, wir führen sie auch weiterhin. Vielleicht nicht ganz so homogen im Moment, dass wir sagen: Es gibt die eine wichtigste Debatte. Ich wüsste gar nicht, ob Griechenland, die Papst-Enzyklika, der IS oder Google das wichtigste Thema des Universums sind. Also müssen wir uns dort, wo wir es können, um diese Themen kümmern. Es hat keinen Sinn, ein Thema einfach nur hochzujazzen, weil es alle Welt thematisiert. Was genauso wichtig ist, ist, dass wir der traditionelleren Welt der Kultur (Musik, Bildenden Kunst, Literatur, Tanz, Geisteswissenschaften) Aspekte abgewinnen, die auch für Leser interessant sind, die das normalerweise nicht so interessiert. Das heißt, über das Rezensorische hinauszugehen.

Macht es einen Unterschied, ob eine Zeitung einen Kulturteil oder ein Feuilleton hat?

Was man darüber schreibt ist nicht entscheidend. Im Grunde machen alle Zeitungen, die diesen Teil haben, thematisch ähnliche Dinge. Aber das Feuilleton ist eine Referenz an eine große Tradition, die auch stark mit Wien verbunden ist. Diese Referenz würde ich ungern aufgeben. Für mich sind Autoren wie Alfred Polgar oder Karl Kraus Orientierungsmarken.

"Die Paywall wird auch bei uns kommen"

Hat es das Feuilleton in Krisenzeiten leichter oder schwerer?

Das muss man je nach Zeitung betrachten. Es gibt Publikationen, die ihr Schwergewicht in der Lokalberichterstattung haben, für die mag dann die lokale Kultur nicht sehr bedeutend sein. Für unsere Zeitung wäre es eine ziemlich verrückte Vorstellung, auf Kultur und Reflexion zu verzichten.

Auch die FAZ muss sparen – jährlich 20 Millionen Euro, 200 von 900 Stellen sollen gekürzt werden in den kommenden Jahren. Wo wird denn zuerst gespart?

Wir haben ein Sparprogramm und die Sparmaßnahmen betreffen schwerpunktmäßig den Verlag, also die geschäftliche Seite. Aber es gibt auch Stelleneinsparungen, nicht durch Kündigungen, sondern durch Nichtbesetzungen von altersmäßig ausscheidenden Kollegen. Da liefert die Redaktion einen Sparbeitrag. Wir sind jetzt aber in der Phase, wo wir uns fragen, was man den außer Sparen noch machen kann.

Also neue Produkte finden?

... und dafür sorgen, dass das Internet einen starken Beitrag zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Organisation leistet. Alle diskutieren die Paywall, sie wird auch bei uns kommen.

In fast allen Berichten über Ihre Bestellung stand, Sie seien ein kühler, konservativer Kopf. Was dachten Sie beim Lesen dieser Texte?

Bei den freundlichen denkt man: Ach, wie nett, wenn das jemand so sieht. Bei anderen fragt man sich, ob die Autoren je einen meiner Texte gelesen haben. Ich fand zum Beispiel die These des „Spiegels“ sehr komisch, mit mir käme die Abkehr vom Debatten-Feuilleton. Ich bin Sozialwissenschaftler und komme gar nicht aus den ästhetischen Fächern. Dass man mir zugeschrieben hat, ich würde den Rückbau in Richtung Rezension betreiben, fand ich erheiternd. Aber auch beim Lob denkt man manchmal, es geht etwas zu weit. Man hat selber ja nicht so ein pathetisches Verhältnis zur eigenen Person.

"Chefs sind von Bedeutung, aber man darf nicht übertreiben"

Wie war Ihre Zusammenarbeit mit Frank Schirrmacher?

Die war über eine lange Zeit hinweg sehr gut und beruhte auf einer sehr großzügigen Freiheit. Ich hatte stets eine sehr große Autonomie bei der Auswahl meiner Themen. Aber es gab sicherlich unterschiedliche Auffassungen, was Zeitdiagnosen anging.

Soll heißen, Sie haben Themen anders eingeschätzt?

Es gibt bei den Medien diese Tendenz, ständig eine Zäsur oder Epochenschwelle zu sehen, nach der nichts mehr so ist wie vorher. Diesen Satz hörte man zum Beispiel sehr oft nach dem 11. September. Als Soziologe dachte ich schon damals, das wird nicht stimmen und das Meiste wird so sein wie vorher, nur Einiges wird sich stark ändern. Oder die Frage, ob die Welt von Google, Facebook und Amazon, nur weil sie uns Zeitungen so stark betrifft, das wichtigste Thema der modernen Gesellschaft ist? Das sind Einschätzungsfragen, bei denen ich vorsichtiger bin. Wenn ich nur nach den Massenmedien gegangen wäre in meinem Leben, müsste ich vierzig verschiedene Gesellschaften erlebt haben – und das kann ja gar nicht sein. Man muss das also irgendwie einbauen: den Wandel und das, was gleich bleibt. Das gilt auch für das Feuilleton. Es wird generell überidentifiziert mit einem Herausgeber. Aber ein Herausgeber kann auch nicht mehr als zwei, drei Texte pro Woche schreiben. Das Feuilleton ist ja nicht der Herausgeber, sondern ganz viele Kollegen, die das machen, ohne dass sie von oben programmiert werden. Chefs sind schon von Bedeutung, aber man darf auch nicht übertreiben.

Wofür Chefs auf jeden Fall zuständig sind, ist die Personalauswahl. Kürzlich verließen mit Nils Minkmar und Volker Weidermann gleich zwei FAZ-Feuilletonisten das Haus Richtung „Spiegel“. Wieso diese Abwanderung von Frankfurt nach Hamburg?

Eine Liste der Personen, die das Feuilleton während der Zeit von Frank Schirrmacher verlassen haben, wäre stattlich. Das ist also sehr normal, die Motive sind vielfältig. Und „Der Spiegel“ ist natürlich ein attraktiver Publikationsort. Ich sehe da keinen Anlass zur Besorgnis. Diese Stellen sind jedenfalls nicht weggefallen. Die Nachfolgerin von Volker Weidermann ist Julia Encke, die Nachfolge von Nils Minkmar ist schon beschlossen, wird aber erst im März bekannt gegeben, weil der entsprechende Kollege erst dann kommt.

Wie lange haben Sie überlegt, die Herausgeberschaft anzunehmen?

Günther Nonnenmacher hat das ein halbes Jahr lang gemacht und mir auch sehr viel abgenommen. Ich selbst habe erst relativ spät erfahren, dass es auf mich hinauslaufen könnte. Und der Frage, ob man das machen möchte, entzieht man sich nicht so leicht, gerade, wenn man sehr an das Feuilleton glaubt. Es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, das waren Nächte quälender Entscheidungsprozesse. Ich mache das gerne, es ist eine ehrenvolle und eine erfüllende Sache, für dieses Feuilleton und für diese Zeitung zu arbeiten.

Zur Person

Jürgen Kaube, geboren am 19. Juni 1962, ist einer von vier Herausgebern der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ und zuständig für das Feuilleton. Nach dem Volkswirtschafts-Abschluss und einer Tätigkeit als Hochschulassistent für Soziologie begann er 1992 für die  „FAZ“ zu schreiben. Seit 1999 war er fixer Redakteur, seit  2008 zuständig für Geisteswissenschaften und Sachbücher, seit 2012 Vize-Feuilletonchef. Er hält heute, Donnerstag, auf Einladung des Verlegerverbandes VÖZ in Wien einen Vortrag über die Anforderungen des Feuilletons in einer zunehmend digitalisierten Welt - mit dem Titel: "Es kann gar nicht genug Streit geben".

Bei der 62. VÖZ-Generalversammlung treten auch Digitalexperte Nicolas Clasen (Autor des Buches "Der digitale Tsunami") und "Zeit"-Politik-Redakteurin Susanne Gaschke auf.

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