Alois Mock wird 75: Aus Euratsfeld in die Welt

Alois Mock
Alois Mock(c) APA (ROBERT JAEGER)
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Brüssel, am 1. März 1994. Kurz nach 22 Uhr – nach einem 80-stündigen Verhandlungsmarathon – hatte es Österreich geschafft. Als Außenminister stieß Alois Mock die Tür nach Europa auf.

Brüssel, am 1. März 1994. Kurz nach 22 Uhr – nach einem 80-stündigen Verhandlungsmarathon – hatte es Österreich geschafft. Außenminister Alois Mock erschien bei den wartenden Journalisten. Strahlend. Erschöpfung und Krankheit ließ er sich in diesem größten Augenblick seines Lebens nicht anmerken: „Österreichs Weg nach Europa ist frei“, rief er jubelnd – in bewusster Anlehnung an Leopold Figls berühmte Worte beim Staatsvertrag 1955.

Das kleine Alpenland hatte seine Beitrittsverhandlungen mit dem Ministerkomitee der Europäischen Union gerade noch rechtzeitig unter Dach und Fach gebracht. Eine Verzögerung wäre für den Vollbeitritt des Landes, der für 1. Jänner 1995 angepeilt war, verhängnisvoll gewesen.

Alois Mock war der „Held von Brüssel“. Die Schweden hatten an diesem Tag schon um 12 Uhr aufgegeben und abgeschlossen; die Finnen dann um 18 Uhr. Nur die Österreicher blieben stur am Verhandlungstisch. Die Transitfrage war noch offen, und da glühten die Telefonleitungen zwischen Brüssel, Wien und Paris. Vom Ballhausplatz aus versuchte SP-Kanzler Vranitzky, dem Staatspräsidenten Mitterrand ein „Oui“ zu entlocken, von Brüssel aus versuchten Mock und Botschafter Manfred Scheich dasselbe beim Premierminister Chirac.

Nicht nur die große Koalition hatte in all den Tagen und Wochen an einem Strang gezogen. Auch die Zeitungen (ja, auch die „Krone“!) waren Mitstreiter in diesem Tauziehen. Und sie waren einhellig voll des Lobes, als Alois Mock – bereits gezeichnet von der Parkinsonkrankheit – nach Wien heimkehrte.

Der Stacheldrahtzaun fällt

Im letzten Interview, das „Die Presse“ mit Mock – zu seinem Siebziger – führen konnte, bezeichnete der ÖVP-Ehrenobmann aber einen zweiten historischen Auftritt als berührendes Erlebnis. Auf dem Schreibtisch lag ein Geburtstagsbrief Helmut Kohls. Der frühere deutsche Bundeskanzler rühmte Mocks europäisches Engagement und erinnerte an die symbolträchtige Geste 1989, als der Außenminister Mock mit seinem ungarischen Kollegen Gyula Horn den Eisernen Vorhang zwischen den beiden Staaten zerschnitt.

„Ich habe versucht, mir vorzustellen, was das für unsere Nachbarn bedeuten mag“, sagte Mock im Interview: Der Traum von einem wieder vereinten Europa sei damit ein gutes Stück realistischer geworden. „Nach all den Scheußlichkeiten dieses Jahrhunderts!“

Sturheit siegt

Woher kommt dieser Traum von Europa? Wo sind die Wurzeln dieser Vision, die der Christlichsoziale mit einer Zähigkeit verfolgt hat, dass sich schließlich Freund wie Gegner geschlagen geben mussten? Sie rühre bereits aus seiner Studentenzeit her, bekannte der gebürtige Euratsfelder. Aus Bologna, genauer gesagt. Wie er dorthin kam, kennzeichnet seine Sturheit, an die sich später Parteifreunde wie politische Verhandlungspartner noch mit Schrecken zurückerinnern. „Ich hab' mich um ein Fulbright-Stipendium beworben – an sich eine Frechheit bei meinen schlechten Englisch-Kenntnissen. Ich bin abgelehnt worden. Dann noch einmal. Beim dritten Mal hat Frechheit gesiegt.“ Und so beobachtete er an der Johns Hopkins University Bologna erstmals den europäischen Einigungsprozess, den er als einmalige Chance für künftige Generationen begriff.

Vielarbeiter auf diversen Posten

Eine lange Wegstrecke musste der Traum von Europa hintanstehen. Der Sekretär des Bundeskanzlers Klaus wird 1969 – quasi über Nacht – Unterrichtsminister. Der Zufall will es so, denn Piffl-Percevic schied verärgert aus der Regierungsmannschaft. 1970 ist die Zeit als Minister schon wieder um, Obmann des Arbeitnehmerbundes seiner Partei, Klubobmann, Parteichef – all das sind künftig Zwischenstationen, bis sich der Lebensbogen mit der Unterzeichnung des EU-Beitrittsvertrages rundet: „Mein zweitschönstes Erlebnis.“ Ein Jubeltag für die Österreicher, für die Regierungsverantwortlichen, für den Motor dieser Verhandlungen, für den Außenminister Alois Mock.

„Großartige Chance“

Die grassierende Enttäuschung seiner Landsleute darüber, was aus diesem verlockend gemalten Bild geworden ist, hat Mock immer wieder verwundert. Schließlich hat er sie akzeptiert. „Wir haben es als Chance gesehen. Mehr haben wir sicher nicht versprochen. Und diese Chance ist da. Sie ist großartig!“

Dass sein sozialdemokratisches Gegenüber, der Bundeskanzler und Parteichef Franz Vranitzky, den Europa-Kurs in seiner SPÖ, vor allem aber im Gewerkschaftsbund, gegen hinhaltenden Widerstand durchboxte, rechnete ihm Mock immer hoch an.

Viel Kontakt hatten die beiden Pensionisten nicht, ab und zu bei Einladungen trafen sie einander. Privat gab es keine Kontakte. Dazu waren sie nicht gemacht.

Um Nasenlänge den Sieg verpasst

Mag sein, dass dazu die nie verborgene Rivalität zwischen Vranitzky und Mock beitrug. 1986, bei der Nationalratswahl, sah sich der ÖVP-Chef schon am Ziel, doch am Wahlabend hatte Vranitzky die Nase vorn. 88.000 Stimmen fehlten der Volkspartei, um die relative Mehrheit zu erobern. Der Parteichef war geschwächt – und sofort begannen die Schüsse aus dem Hinterhalt. Ein Landesrat in Oberösterreich und ein Parteisekretär in Salzburg feuerten als Erste. Ihre Namen sind heute längst verweht.

In mühsamen Koalitionsgesprächen zurrte Mock die Hinwendung zu Europa fest. Vranitzky zögerte zunächst in Kenntnis seiner Partei. Mock probierte ein Erpressungsmanöver: Er hatte ja schließlich noch eine zweite Option, nämlich eine Koalition mit Jörg Haider. Doch diese Denkvariante wurde ihm bald von der eigenen Partei ausgetrieben: Bei einer Probeabstimmung im Parteivorstand votierten nur zwei Mitglieder für eine Koalition mit dem neuen FP-Chef Jörg Haider: Salzburgs Wilfried Haslauer und Vorarlbergs Herbert Sausgruber. Erst sein Nach-Nach-Nachfolger Wolfgang Schüssel sollte – genau mit dieser Konstellation – den Sessel des Regierungschefs wieder für die Volkspartei zurückerobern.

Edith Mock verlor die Wette

Alois Mock ist das versagt geblieben. Das Foto vom Durchschneiden des „Eisernen Vorhangs“ vor zwanzig Jahren ist den Menschen zwar noch gut in Erinnerung. Aber sein größter Tag war – unseres Erachtens nach – ein ganz anderer. Das war der 12.Juni 1994. Wir begleiteten damals den Außenminister von seiner Döblinger Privatwohnung zum Wahllokal im Bundesrealgymnasium in der Krottenbachstraße. Österreich stimmte über den EU-Beitritt ab. Wie das Ehepaar Mock votierte, war ja ziemlich klar – aber wie würden die Landsleute handeln? Fünfzig Prozent und eine Stimme genügen für den Anfang“, gab sich Mock recht zurückhaltend. „Und dann müssten wir uns halt sehr anstrengen, um die anderen zu überzeugen . . .“

Edith Mock hat damals ihre Wette verloren. Und sie tat es gern. Denn sie tippte nur auf 52 Prozent Zustimmung. Mit 66,6 Prozent war Österreich weitaus vernünftiger, als viele befürchtet hatten.

„Es hat sich gelohnt“

Wenigstens an diesem Tag des Triumphes vergaß Alois Mock seine Krankheit, die ihn heute so quält. Erst am nächsten Tag wolle er zum Arzt, verriet er damals der „Presse“: „Ich darf keine plötzlichen Bewegungen machen. Nichts tragen.“ Immer habe er sich früher mokiert, „wenn einer was g'worden ist und sich gleich die Tasche nachtragen hat lassen und die Schüssel. Jetzt bin i' so weit. Weil's mir die Ärzte verboten haben.“

Rechtzeitig zum Parteitag der ÖVP im April schied er aus dem Regierungsteam aus, gemeinsam mit Vizekanzler Erhard Busek – die Ära Schüssel nahm ihren Anfang. Für ein großes Ziel hat Alois Mock seine Gesundheit geopfert. Das wusste er. Aber immer wieder betonte er in den vergangenen Jahren: „Es hat sich gelohnt.“

Wir haben jeglichen Grund, dafür Dank zu sagen.

Buchtipp:

Martin Eichtinger, Helmut Wohnout

Alois Mock

Ein Politiker schreibt Geschichte

Styria 2008, 319 Seiten

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.06.2009)

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