Erste schwule Sexszene im "Tatort"

Mark Waschke spielt Robert Karow
Mark Waschke spielt Robert Karow(c) ORF (Frederic Batier)
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Der Berliner Ermittler Robert Karow ist homosexuell - und das haben im Fall "Wir - Ihr - Sie" auch seine Kollegen mitbekommen. TV-Serien aus den USA gehen lockerer mit dem Thema um.

Am Sonntagabend hat das deutsche Krimiformat "Tatort" Neuland betreten: In der Folge "Wir - Ihr - Sie" war zum ersten Mal eine explizite Sexszene zwischen zwei Männern zu sehen. In einer Videoaufzeichnung sehen im Krimi auch  die Kollegen den Ermittler Robert Karow (Mark Waschke) beim Sex mit einem anderen Mann. Das Besondere: Karow geht ganz locker mit diesem Umstand um. Er entzieht sich jeglicher Kategorisierung.

Früher war gleichgeschlechtliche Liebe eher ein verschämtes TV-Thema. Lange Zeit fand im fiktionalen Fernsehen alles, was von dem etablierten Liebesverständnis, eher verkrampft statt. In Primetime-Krimis wie dem "Tatort" oder bei "Derrick" war Homosexualität (oder das Verheimlichenmüssen davon) oft sogar ein Mordmotiv.

In den 70er Jahren prägten sich zum Thema Schwulsein zwei TV-Ereignisse ins kollektive Gedächtnis Deutschlands ein: der Film "Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt" von Rosa von Praunheim (1973) sowie der Film "Die Konsequenz" (1977) von Wolfgang Petersen mit Jürgen Prochnow als Häftling, der sich in den 16-jährigen Sohn eines Aufsehers verliebt. Bei den ARD-Ausstrahlungen klinkte sich der BR für das katholisch-konservativ geprägte Bayern jeweils aus.

Bezahlfernsehen muss weniger Rücksicht geben

Seit einigen Jahren gehen viele Fernseh- und Streamingdienst-Serien, vor allem aus den USA, sehr locker und kaum noch effekthascherisch mit Nicht-Heterosexuellem und der Vielfalt der Identitäten um. Die Entwicklung befeuert hat in Amerika vielfach das Bezahlfernsehen mit Sendern wie HBO oder Showtime, die weniger Rücksicht auf vermeintliche Mehrheitsmeinungen, religiöse Gefühle oder behördliche Vorgaben in ihrem Programm nahmen und Mut zur Nische zeigten - und damit inhaltlich langsam den Mainstream beeinflussten.

Aktuell kann man - etwa bei Netflix, Sky oder dem Video-Dienst von Amazon - viele Serien sehen, die lesbische, schwule, bisexuelle oder auch Trans-Menschen zeigen. Etwa Produktionen wie "House of Cards", "Game of Thrones", "Sense8", "Grace and Frankie", "Orange Is The New Black", "Transparent", "London Spy", "Looking" oder "Unbreakable Kimmy Schmidt".

Bis Homosexualität im deutschsprachigen Fernsehen angekommen ist, hat es eine Weile gedauert? Im Folgenden eine Auswahl von Serien und Reihen mit nicht-heterosexuellen Hauptfiguren:

  • 1983: Das ZDF beginnt die Ausstrahlung der amerikanischen Erfolgsserie "Der Denver-Clan" (Dynasty), in der es vorübergehend mit Steve Carrington einen schwulen Sohn gibt (gespielt von Al Corley).
  • 1987: Erster Kuss zwischen zwei Männern in der ARD-Serie "Lindenstraße": Carsten Flöter (gespielt von Georg Uecker) und Gerd Weinbauer (Günter Barton) tun es.
  • 1990: weiterer Kuss in der "Lindenstraße" von Carsten Flöter mit Robert Engel (Martin Armknecht). Neben positiven Reaktionen bekommen beide Schauspieler nach der Ausstrahlung auch Morddrohungen.
  • 1992: Die RTL-Dailysoap "Gute Zeiten, schlechte Zeiten" startet. In den folgenden Jahren bringen Soaps zahlreiche homosexuelle Liebesgeschichten in den Alltag der TV-Zuschauer, darunter "Unter uns" und "Alles was zählt" bei RTL sowie die ARD-Vorabendserien "Marienhof" und "Verbotene Liebe" (dort zum Beispiel mit Christian und Olli, gespielt von Thore Schölermann und Jo Weil).
  • 1995: Das Erste der ARD zeigt die US-Sitcom "Ellen" mit Ellen DeGeneres, in deren Verlauf die Hauptfigur - wie auch die lesbische Schauspielerin DeGeneres im wahren Leben - ihr Coming-out erlebt.
  • 2001: ProSieben zeigt die US-Sitcom "Will & Grace" mit Eric McCormack und Debra Messing. Es geht unterhaltsam um Homosexualität.
  • 2003: ProSieben zeigt die vierte Staffel der HBO-Kultserie "Sex and the city", in der sich Samantha (Kim Cattrall) in eine Frau verliebt.
  • 2004: Vox zeigt die US-Serie "Six Feet Under - Gestorben wird immer", in der die schwule Figur David Fisher (Michael C. Hall) mit einem Mann auch Kinder adoptiert.
  • 2006: ProSieben zeigt die US-Serie "The L Word - Wenn Frauen Frauen lieben" über eine Lesben-Clique in Los Angeles.
  • 2006: ProSieben zeigt die US-kanadische Version der ursprünglich britischen Serie "Queer as folk" über einen schwulen Freundeskreis (in Großbritannien lief das Original bereits 1999).
  • 2013: Die Schweizer "Tatort"-Ermittlerin Liz Ritschard (gespielt von Delia Mayer) hat in der Folge "Schmutziger Donnerstag" eine Liebesnacht mit einer Frau.
  • 2015: Im Magdeburger "Polizeiruf 110" mit dem Titel "Wendemanöver" gibt Kommissar Jochen Drexler (Sylvester Groth) mit einem Coming-out seine Abschiedsvorstellung. Sein Liebhaber stirbt.
  • 2016: Nach einer eher angedeuteten Liebesnacht in einem "Tatort" im Herbst 2015 ist die Ermittlerfigur Robert Karow (Mark Waschke) deutlich beim Sex mit einem Mann zu sehen.

(Gregor Tholl/dpa/APA)

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