Teenager sind nicht harmlos

Alyssa (Jessica Barden) und ihr Möchtegernmörder James (Alex Lawther).
Alyssa (Jessica Barden) und ihr Möchtegernmörder James (Alex Lawther).(c) Netflix
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„The End of the F***ing World“ verbindet ähnlich raffiniert wie „Tschick“ einen Roadtrip mit einer Coming-of-Age-Geschichte. Aber die Netflix-Produktion ist viel, viel düsterer.

Eigentlich ist es ein Missverständnis: Da tritt die 17-jährige Alyssa in der Schulkantine vor den ebenfalls 17-jährigen James hin, provoziert ein bisschen, reizt ihn ein bisschen, er interessiert sie, weil er anders ist, schüchtern, irgendwie verpeilt – und gerät dabei an einen Typen, der von sich selbst denkt, er sei ein Psychopath.

Sie: Ein Mädchen aus gutem Hause, Eltern geschieden, die Mutter ist dem neuen Mann hörig, während der lieber die Taille der Tochter tätschelt.

Er: Ein Bursch, der als Kind die Hand in die Fritteuse gesteckt hat, um etwas zu spüren, der Kaninchen die Kehle aufgeschlitzt hat und als Nächstes ein größeres Tier erlegen will. Einen Menschen. Sie sucht einen Komplizen in ihrer Wut. Er sucht ein Opfer.

„The End of the F***ing World“ nach einem Comic von Charles S. Forsman wurde zuerst im britischen Channel 4 gezeigt, dem wir auch die großartige Serie „Crashing“ von und mit Phoebe Waller-Bridge verdanken. Netflix hat die acht Folgen vergangenes Wochenende online gestellt. Die Idee dazu hatte Jonathan Entwistle, bislang als Regisseur von Musikvideos und Werbeclips bekannt: Er hat die Vorlage angeblich im Papierkorb eines Londoner Comicladens gefunden. Ob das stimmt? Das Ergebnis ist jedenfalls ein grandioser Roadtrip, raffiniert verknüpft mit einer Coming-of-Age-Geschichte.

Keine Träger irgendeiner Moral

Jetzt ist die Reise ja ein klassisches Motiv der Kinder- und Jugendliteratur: Die Hauptfigur verlässt – freiwillig oder unfreiwillig – das Elternhaus, lernt die Welt kennen, hat Prüfungen zu bestehen oder Aufgaben auszuführen und kehrt am Ende wahlweise geläutert oder gereift in den Schoß der Familie zurück. „Nils Holgersson“ funktioniert so und „Jim Knopf“, „Lars, der kleine Eisbär“, „Pinocchio“ und sogar „Alice im Wunderland“.

Aber was lernt man in einer Welt, wie diese Serie sie zeichnet? Viel bringt sie den beiden Teenagern nicht bei. Zum Teil auch das Falsche. Und unsere beiden Ausreißer werden zwar erwachsener, aber als Träger irgendeiner Moral eignen sie sich trotzdem nicht. Alyssa, wunderbar ruppig und glaubwürdig gespielt von der schon 25-jährigen Jessica Barden, macht in ihrem Zorn kaputt, was sie kaputt macht, und anderes gleich noch dazu. Da ist kein Mitleid, keine Großherzigkeit, nur Gier nach irgendwas, sie weiß selbst nicht, nach was. Besonders großartig sind die Szenen, in denen sich ihre eigene Ablehnung der „Normalität“ als bloße Attitüde entlarvt: Topher heiße er, erklärt ein junger Bursch, dem sie auf einem Spaziergang begegnet. Komischer Name, meint Alyssa, ob das eine Abkürzung sei? Ja, für Christopher. Warum er sich dann nicht Chris nenne, wie andere Christophers auch? Topher sei blöd.

Ja, selbst anders sein wollen. Aber wehe, es trägt einer auch nur einen seltsamen Namen! Und James? Der sagt zu allem Ja und Amen, ob das Oralsex ist oder der Einbruch in ein leer stehendes Haus: Folgt er Alyssa nur, weil er auf den richtigen Zeitpunkt wartet, sie zu massakrieren? Alex Lawther, den manche in der „Black Mirror“-Episode „Shut up and Dance“ gesehen haben, spielt ihn introvertiert und schräg, so ganz mag man ihm den Psychopathen nicht abnehmen. Aber wir wollen nicht spoilern. Nur so viel: Die psychologische Deutung, die hier angeboten wird, ist eine Schwachstelle der Serie.

Aber egal: „The End of the F***ing World“ mag ihre Figuren, aber sie geht ihnen nicht auf den Leim. Sie ist abgründig und zugleich witzig. Dazu kommen Songs zwischen hip und schmalzig und mit viel Mut zum Grotesken gezeichnete Nebenfiguren. Viel Zeit frisst die Serie auch nicht: Zwanzig Minuten dauert eine Folge. Unbedingte Empfehlung.

Auf einen Blick

„The End of the F***ing World“ läuft seit 5. Jänner auf Netflix. Die achtteilige Serie basiert auf dem Comic von Charles S. Forman. Regie: Jonathan Entwistle und Lucy Tcherniak.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.01.2018)

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