ORF-Redakteure fürchten Zerstörung ihres Senders

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Die ORF-Redakteure haben eine Resolution herausgegeben. Sie fürchten eine "Zerstörung" des Senders "über einen wirtschaftlichen und politischen Zangenangriff."

Die türkis-blaue Regierung plant ein neues ORF-Gesetz und die Redakteure des Öffentlich-Rechtlichen fürchten eine „absichtliche Zerstörung“ des Senders. Die Redakteursvertreter haben unter dem Titel „Der ORF ist in Gefahr“ am Mittwoch eine Resolution veröffentlicht, in der sie ihre Sorgen formulieren. Demnach würde der ORF über einen „wirtschaftlichen und politischen Zangenangriff“ geschwächt.

Der Politik wird vorgeworfen, den ORF finanziell auszuhungern, indem die zunehmenden Ausfälle von Gebühren nicht refundiert würden. Ein Sparprogramm folge aufs nächste, so der Redakteursrat. Immer mehr Arbeitsplätze würden eingespart und die journalistische Qualitätskontrolle so erschwert oder unmöglich gemacht.

Harsche Kritik üben die Redakteure an der Sendung „Europa backstage“. Diese wäre eine „als Informations-Programm getarnte Belangssendung“, die nur dazu diene, der „heimischen Polit-Prominenz eine Bühne zur Selbstdarstellung“ zu bieten. „Hier wird Geld investiert, das für ernsthafte redaktionelle Arbeit fehlt“, heißt es vonseiten der ORF-Redakteure.

„Offene Drohungen mit dem Verlust des Arbeitsplatzes“

Kritik üben die Redakteure auch an den Regierungsparteien. Diese würden „über ein System parteinaher Kanäle“ kommunizieren, „auf denen Politiker nicht von kritischen Fragen behelligt werden.“ Gemeint sind hier vermutlich die Social-Media-Auftritte von FPÖ und ÖVP sowie parteieigene Sender wie „FPÖ TV“. Auf diesen Plattformen werde „gegen seriösen Journalismus Stimmung gemacht, auch mit persönlichen Angriffen und Einschüchterungsversuchen“, schreiben die ORF-Redakteure. Und: „Bisher wurden kritische Fragen an Politiker nur als ,unbotmäßig' denunziert oder die ,Neutralisierung' des ORF gefordert. Jetzt sind es bereits offene Drohungen mit dem Verlust des Arbeitsplatzes, wenn etwa eine Moderatorin Interviewfragen stellt, die einer Regierungspartei nicht gefallen.“

Diese Kritik dürfte sich auf den Angriff von FPÖ-Generalsekretär Harald Vilimsky auf "Hohes Haus"-Moderatorin Patricia Pawlicki Ende Oktober beziehen. Dieser hatte Pawlicki angegriffen und sich sich über ihr Interview mit Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka beschwert. Vilimsky wünschte sich von ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz „sofortiges Handeln“, sprich: eine Absetzung oder Entlassung. Wrabetz konterte auf Twitter: „Welche Fragen im ORF gestellt werden, entscheiden unabhängige Journalisten und nicht Parteisekretäre.“

„Streaming-Lücke“ soll geschlossen werden

Die Überlegungen der Regierung, die Gebührenfinanzierung durch eine Finanzierung aus dem Bundesbudget zu ersetzen, finden bei den ORF-Redakteuren keinen Anklang. Sie fürchten, dass die Mittel für den Öffentlich-Rechtlichen dann aus politischen Gründen gekürzt würden: „Das Ende des ORF als größtes heimisches Medienunternehmen würde bedeuten, dass reichweiten-starke Boulevard-Medien und parteinahe Propaganda-Plattformen dann die wichtigsten 'Informationsträger' für breite Teile der österreichischen Bevölkerung wären.“

Sie wünschen sich, dass die „Streaming-Lücke“ geschlossen wird, also auch Haushalte, die kein TV- oder Radiogerät besitzen, ORF-Angebote aber übers Internet streamen können, Gebühren zahlen. Zudem soll der Stiftungsrat, das oberste ORF-Gremium, stärker nach fachlicher Kompetenz und weniger nach parteipolitischen Machtverhältnissen besetzt werden. Die Abstimmungen im Stiftungsrat sollten außerdem geheim sein, wünscht sich der Redaketursrat. Auch sollten die Mitarbeiter des ORF bei der Besetzung der journalistischen Führungskräfte stärker mitbestimmen dürfen. In der Vergangenheit wurde die Belegschaft des ORF in dieser Frage häufig übergangen.

Die Resolution im Wortlaut

Der ORF ist in Gefahr

Redakteursvertreter fordern wirtschaftliche und politische
Unabhängigkeit

Der ORF-Redakteursausschuss, das sind die RedakteurssprecherInnen aus allen Bereichen (Radio, TV, Online, Teletext und Landesstudios) hat folgende Resolution beschlossen:

Dem ORF droht derzeit die größte existenzielle Krise seit seinem Bestehen. Wir befürchten die absichtliche Zerstörung des öffentlich-rechtlichen Senders - über einen wirtschaftlichen und politischen Zangenangriff.

Bereits seit Jahren folgt im ORF - so wie in vielen anderen österreichischen Redaktionen - ein Sparprogramm auf das nächste. Immer mehr journalistische Arbeitsplätze werden aus finanziellen Gründen reduziert. Informations-Programme werden an externe Produktionsfirmen ausgelagert - und damit die journalistische Qualitätskontrolle erschwert oder unmöglich gemacht. Und als Informations-Programm getarnte Belangsendungen mit dem Titel „Europa backstage“ bieten der heimischen Polit-Prominenz eine Bühne zur Selbstdarstellung - fernab jeglicher journalistischer Grundprinzipien. Hier wird Geld investiert, das für ernsthafte redaktionelle Arbeit fehlt.

Währenddessen bauen die Regierungsparteien systematisch ihre PR-Stellen aus. Nicht nur in den Kabinetten, auch über ein System parteinaher Kanäle, auf denen Politiker nicht von kritischen Fragen behelligt werden. Gleichzeitig wird auf manchen dieser Plattformen gegen seriösen Journalismus Stimmung gemacht, auch mit persönlichen Angriffen und Einschüchterungsversuchen: bisher wurden kritische Fragen an Politiker nur als „unbotmäßig“ denunziert oder die „Neutralisierung“ des ORF gefordert. Jetzt sind es bereits offene Drohungen mit dem Verlust des Arbeitsplatzes, wenn etwa eine Moderatorin Interviewfragen stellt, die einer Regierungspartei nicht gefallen. Hier wird mutwillig der gesellschaftliche Grundkonsens über die Bedeutung des ORF als wichtiger Träger von Österreichs Kultur, Sport, Unterhaltung und vor allem kritischem Journalismus in Gefahr gebracht.

Die Gebührenfinanzierung durch eine Finanzierung aus dem Bundesbudget zu ersetzen, würde den ORF noch mehr vom Wohlwollen der Regierungsparteien abhängig machen. Am Dänischen Rundfunk lässt sich derzeit studieren, wie schnell in so einem System die Mittel politisch bedingt gekürzt und Massenkündigungen von JournalistInnen die Folge sind. Und das alles vor dem Hintergrund immer mächtiger werdender ausländischer Medienkonzerne, die der internationalen politischen Manipulation vor Wahlen und Volksentscheiden Tür und Tor geöffnet haben.

Das Ende des ORF als größtes heimisches Medienunternehmen würde bedeuten, dass reichweiten-starke Boulevard-Medien und parteinahe Propaganda-Plattformen dann die wichtigsten „Informationsträger“ für breite Teile der österreichischen Bevölkerung wären. Kritischer Qualitätsjournalismus würde nur mehr in ganz wenigen Medien stattfinden - mit deutlich geringerer Breitenwirksamkeit.

Selbstverständlich sind die Parteien zentrale Träger unserer Demokratie. Wenn es aber beim größten Medium des Landes um Kontrolle und Einfluss geht, haben die Parteien einen offensichtlichen Interessenskonflikt. Daher soll das Aufsichtsgremium des ORF, der Stiftungsrat, so besetzt werden, dass es bei Entscheidungen in allererster Linie um die Interessen des Publikums, des Unternehmens und seiner MitarbeiterInnnen geht.

Forderungen der Redaktionen

Zur Stärkung der politischen und wirtschaftlichen Unabhängigkeit hat die Redakteursvertretung eine ganze Reihe von Maßnahmen ausgearbeitet. So muss die „Streaming-Lücke“ beim Rundfunkbeitrag geschlossen werden, die dem ORF zunehmend Einnahmen-Ausfälle beschert. Die gesetzliche Gebührenbefreiung von mehr als 300.000 Haushalten muss zumindest teilweise refundiert werden. So wie das auch bei den Telekom-Betreibern der Fall ist.

Die Beschränkungen im Online-Bereich sind anachronistisch und sollen an die Erfordernisse einer modernen Medienwelt angepasst werden. Weiters:
* Im Stiftungsrat sollen anerkannte MedienexpertInnen einen fixen
Anteil haben, um fachliche Expertise in diesem Aufsichtsgremium
sicherzustellen.
* Abstimmungen im Stiftungsrat sollen geheim sein.
* Ein Drittel der Stiftungsräte müssen Belegschaftsvertreter sein -
darunter auch welche, die vom Redakteursrat nominiert werden, um
sicherzustellen, dass unabhängige JournalistInnen immer im
Aufsichtsgremium vertreten sind.
* Die Mitbestimmungsrechte der Redaktionen bei journalistischen
Führungskräften sollen verbessert werden, so wie bei nationalen und
internationalen Qualitätsmedien üblich.

Wir Redakteurinnen und Redakteure des ORF wollen mit unseren Programmen unser Publikum jeden Tag aufs Neue überzeugen, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk wichtig für Österreich ist. Daher appellieren wir an die Verantwortungsträger der Republik, den Bestand des ORF als Leitmedium des Landes nicht zu gefährden. Das mag kurzfristigen Eigeninteressen von politischen Parteien widersprechen - aber nur ein starker öffentlich-rechtlicher Rundfunk garantiert verlässliche, umfassende und objektive Berichterstattung für die gesamte Bevölkerung.

(Red.)

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