Ein ORF-"Stammtisch" voller Geschlechterklischees

Der Stammtisch
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Der ORF ließ eine sechsköpfige Runde am "Stammtisch" unmoderiert diskutieren. Für die Teilnehmer mag das interessant gewesen sein, für Zuseher brachte es erstaunlich wenig Erkenntnisse.

Ins Hinterzimmer des Wiener Café Anzengruber lud der ORF sechs Gäste und bat sie am "Stammtisch" ins Gespräch zu kommen (Do, ORF III, 22.20 Uhr). Die Runde war auf den ersten Blick bemüht vorbildlich durchmischt: drei Frauen, drei Männer; ein Migrant und Fremdenführer, ein älterer Mann und Bergbauer, eine Unternehmerin, eine YouTube-Bloggerin und dreifache Mutter, dazu mit Pippa Galli und Gerald Pichowetz zwei durchaus bekannte Künstler. Einen Moderator gab es nicht, die einzige Anweisung an die Runde kam vom Kellner. Er erinnerte an die Bierdeckel auf dem Tisch, auf denen Schlagworte zu Themen standen, "die Sie gern aufgreifen dürfen". Äußerst erwartbare Themen fanden sich da auf diesen Deckeln, von Doping und Heimat bis zu Abtreibung oder Islam.

Zu Beginn dominierte Sepp Fürthauer - laut Eigenbeschreibung "der oide Feldbauer" aus Steinbach am Attersee - mit Witzen die Runde, die hart an der Schmerzgrenze lagen. Erstes Thema am Stammtisch war das Rauchen oder eigentlich: die Vor- und Nachteile des Rauchverbots (Pichowetz: "Diese Vorschreiberei entbehrt bei gewissen Dingen Intelligenz. Da müssen wir das Schnapsbrennen, das Weinkeltern, das Bierbrauen auch bald verbieten"). Musikerin und Schauspielerin Pippa Galli mahnte nach einem Witzepass zwischen Pichowetz und Fürthauer (über nachlassenden  Haarwuchs) leicht genervt eine gewisse Gesprächskultur ein: "Wollt's ihr über ein Thema reden? Wollen wir uns einen Begriff aussuchen?" Und Beate Klein, die Inhaberin eines Kinderfachgeschäfts nahm ihren Vorschlag mit einem erleichterten "Ja!" an.

Also wurde drauflos geredet. Über Doping (Pippa Galli: "Mich interessiert einfach kein Sport. Aber für mich liegt es auf der Hand, dass man sich irgendein Mittel sucht, um sich abzuheben". Pichowetz: "Aber das ist ja immer so, die Probleme macht man sich selbst".), Heimat, die Herkunft des Kipferls, den Islam und religiöse Feiertage (Karfreitag auch hier, nicht ohne zu erwähnen, dass die Diskussion viel zu wichtig genommen werde). Viele Themen in 45 Minuten, aber langatmig wurde es trotzdem.

Vielleicht war es ein Fehler, jemanden wie Gerald Pichowetz einzuladen. Einst verkörperte er im "Kaisermühlenblues" den zurückgebliebenen Fünfer, heute ist er Direktor des Floridsdorfer Gloria Theaters und die freie Rede gewohnt. Er nahm sich deutlich mehr Raum als andere am Tisch, nur die Unternehmerin Beate Klein machte ihm bei Lautstärke und Gesprächszeit Konkurrenz. Dazwischen ließ der Atterseer Bauer immer wieder ein paar stumpfe Witze vom Stapel. [Auszug gefällig? "Was macht Angela Merkel mit alten Kleidern? Sie trägt sie." Oder: "Meine Frau und ich haben eine Liegenschaft - ich bleibe liegen, meine Frau schafft an."]

"Ich bin der Sepp und du bist a der Sepp"

Fremdenführer Yusuf, gebürtiger Türke, seit 30 Jahren in Wien, bezeichnete sich als "eingewaschenen Wiener", was für Lacher sorgte. Er brachte ein paar gute Argumente zur Integration vor und sorgte indirekt für den besten Moment der Sendung: Als sich der Bauer Sepp und der Fremdenführer Yusuf ("Was auf Deutsch Josef und in Wien Peppi heißt") nach einem ziemlich harmonischen Austausch über Heimat die Hände schüttelten und das Du-Wort gaben. Sepp zu Yusuf: "Ich bin der Sepp und du bist a der Sepp." Yusuf: "Grüß Dich, Peppi". Aber sonst blieben sie aus, die erhellenden Momente.

Im Gegenteil. Nach 45 Minuten unmoderierter Diskussion am artifiziell besetzten Stammtisch zeigte sich, wie sehr so ein Format Klischees und vor allem Geschlechter-Stereotypen spiegelt: Ein Mann macht schmuddelige Witze, die anderen lachen lauthals darüber, ermuntern ihn also. Der Zweite erklärt allen anderen die Welt und alle drei sind vor allem von sich selbst überzeugt und besonders gut im Unterbrechen. Unter den Frauen am Tisch dominiert eine besonders und obwohl man es nicht will, ertappt man sich dabei, von ihrer belehrenden Art genervt zu sein. Die Zweite versucht ausgleichend die Stimmung zu retten, nimmt also die Rolle der Kümmerin ein und versucht trotzdem hie und da leise ihre Standpunkte anzubringen, während die Männer dazwischenreden und gleichzeitig selbstbewusst sagen: "Ich hoffe auf Gleichbehandlung in allen Bereichen". Und die dritte Frau der Runde? Schweigt! Ausgerechnet die YouTube-Bloggerin hat so gut wie nichts gesagt. Doch irgendwie konnte man ihr das nicht übel nehmen.

Das ORF III-Experiment hatte beim Start nur 28.000 Zuseher, das entspricht einem Prozent Marktanteil. 

>> Die Sendung in der TVthek

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