Nachruf: "Professor Europa" tritt ab

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Günter Schmidt (ORF) wollte vor allem eines: ein weniger provinzielles Österreich. Der vor wenigen Tagen überraschend im 69. Lebensjahr verstorbene, zeichnete sich durch eine Eigenheit aus

Es war nicht leicht, von ihm gemocht zu werden. Oder respektiert. Denn Günter Schmidt, der große alte Mann der österreichischen EU-Berichterstattung, der vor wenigen Tagen überraschend im 69. Lebensjahr verstarb, zeichnete sich durch eine Eigenheit aus, die wohl das Resultat seiner angloamerikanischen journalistischen Berufsausbildung war: Er mochte keine Dummköpfe. Wobei er diesen Satz wahrscheinlich lieber auf Englisch gehört hätte, aber bitte richtig, wenn's geht: He didn't suffer fools gladly. Das galt für seine Kollegen in Brüssel, das galt aber auch für ORF-Journalisten in Wien, deren Ignoranz oder Desinteresse an europäischen Vorgängen ihn oft zur Weißglut trieb.

Günter Schmidt studierte an der damaligen Hochschule für Welthandel, ehe er sich für den Journalismus entdeckte. Seine Grundausbildung erhielt er als Assistent des Chefkorrespondenten der Nachrichtenagentur Reuters in Wien. 1968 erfüllte er sich einen Traum und übersiedelte für vier Jahre nach London, zuerst für den deutschen Dienst der BBC, später als redaktioneller Leiter des deutschsprachigen Dienstes des Los Angeles Times/Washington Post News Service. 1972 holte ihn der ORF nach Wien.

Dort wurde er den Österreichern bald ein Begriff, und zwar als Moderator der „Zeit im Bild“. Seine größte Stunde aber kam 1992, als er für zehn Jahre die Leitung des ORF-Korrespondentenbüros in Brüssel übernahm. Schmidt legte diese Rolle weitaus umfassender an als nur als reiner Vermittler von Nachrichten. Es war ihm ein echtes Anliegen, die Österreicher von ihren provinziellen Reflexen zu kurieren und sie von den Vorteilen der Europäischen Union zu überzeugen. Dass ihm das nie wirklich gelungen ist, ärgerte ihn bis zuletzt. do

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.08.2010)

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