"ORF eins": Ein Sender wie ein Loungesessel

eins Sender Loungesessel
eins Sender Loungesessel(c) ORF
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Eine Insel der Gelassenheit will das neue "ORF eins" sein, inmitten des optischen Lärms der Konkurrenz. Die Agentur DMC Group hat dem Kanal die visuelle Identität verpasst.

Zappen ist toll. So viele Bilder in so kurzer Zeit. Und dazu kommen noch die Bilder in den Bildern, die Senderlogos in den Ecken. Wer Daten-Overflow sucht, bitte fernsehen. Die TV-Kanäle schreien, die Inhalte machen Krach. Doch ab 8.Jänner will der ORF mittendrin einen seiner Kanäle, visuell und akustisch, in eine gelassene Lounge verwandeln. Und seine Seher dort wie in einem vertrauten Zuhause empfangen. Anders ausgedrückt: Aus „ORF1“ wird „ORF eins“.

Ein „Refreshment“, kein „Redesign“ sei es, sagen die beteiligten Designer. Die meisten von ihnen arbeiten für die DMC Group. Eine Agentur, die schon vor 20 Jahren das Gesicht des ORF zeichnete. „Im Juni wurden wir gemeinsam mit fünf anderen Agenturen zum Pitch geladen“, erzählt DMC-Geschäftsführer Kreation Walter Puschacher. Die Arbeitsgruppe „ORF1“ hat beschlossen, den Kanal visuell als Marke zu stärken. Und Michael Hajek als neuen Art-Direktor ins Haus zu holen, zuvor war er bei RTL. Er briefte die Agenturen, DMC gewann den Pitch. Jene Agentur, die schon Anfang der 1990er-Jahre von Gerd Bacher zum Redesign gerufen worden war. Damals hatte sie gerade dem Pay-TV-Sender „Premiere“ eine visuelle Identität verpasst, eine mächtige Design-Referenz. Nun folgte der ORF, Neville Brody, Printdesigner und Typografenguru, kam nach Wien, nahm die gewohnten Bilder, Schriften und Vorstellungen des ORF in die Hand. Und verwarf sie alle.

„Doch es hätte nicht Neville Brody gebraucht, um das österreichische TV-Design zu retten“, meint Oliver Kartak, heute Professor an der Universität für Angewandte Kunst, damals noch Teil des winzigen DMC-Teams, das aus dem alten ORF den machte, der uns noch heute entgegenflimmert. „Die ORF-Grafik war davor keineswegs eine Wüste“, sagt Kartak. „Da waren Namen wie Helmut Stiedl, Norbert Wuchte, Heinrich Landauer und Hubert Micheluzzi am Werk, die großartige und experimentelle Dinge gemacht haben.“ Wie etwa den Vorspann der Filmsendung „Trailer“. Oder die legendäre Signation von „Panoptikum“. Sequenzen, die die damalige Sehergeneration noch heute in den Köpfen mühelos abspulen kann.

Brody kam mit einer klaren Designsprache, mit neuer Typografie und „setzte einen absoluten Kontrapunkt zu allem, was damals bestanden hat“, meint Kartak. Ruhe und Reduktion statt bunter Schmetterlinge und anderer Dinge, die auf verschiedenen Kanälen herumschwirrten und flogen. „Allein dass Brody diese Ruhe einbrachte, war einzigartig.“ Auch im Fernsehen dürfen die Bilder einmal stillstehen. Wie in der Musik, in der auch die Pausen manchmal am mächtigsten sind. „Damals war es wirkliches Redesign. Nichts blieb unangetastet“, so Kartak. Eine völlig neue Dachmarke wurde konstruiert. „Und danach war der ORF in Europa mit seinem Design in Europa weit, weit voran“, wie Puschacher erklärt.


Markenauffrischung. In diesem Jahr war es wieder DMC, die aus „ORF1“ eine eigenständige Marke machen sollte. Und auch Kartak war wieder dabei, diesmal als Creative Director. „Wir sind mit wenigen Elementen ausgekommen. Schwierig, wenn man nicht zu banal oder langweilig wirken will.“ Die Entwürfe entwickelten sich im „Pingpong-Verfahren“, zwischen der Agentur und dem ORF-Grafik-Team rund um Hajek. Alle Entwürfe wurden „technisch und gestalterisch getestet“. Schließlich habe, so Kartak, „jeder Fernsehsender auch eine Art Workflow, auf den man sich einstellen muss“.

Nicht nerven, nicht langweilen. Irgendwo dazwischen sollte sich das On-air-Design bewegen. Und „es muss vor allem der Marke und den Nutzern dienen“, wie Puschacher meint. Und dabei vor allem der Orientierung, bei der Navigation durch das Programm genauso wie im Dickicht der Kanäle. Die augenfälligste Neuerung: Aus „1“ wird „eins“. Wort ersetzt Ziffer – um vom bloßen Anhängsel der Dachmarke des ORF zum eigenständigen Kanal „mit stärkerer Identität“ zu werden. „Vier Buchstaben haben mehr Charakter als eine Zahl“, sagt Puschacher. Und: Das Logo von „ORF eins“ wandert von rechts nach links oben. Ein kleiner Weg auf dem Bildschirm, ein großer Sprung in der Positionierung: „Das unterstreicht optisch die Unterscheidung zu ORF2“, wie ORF-Art-Direktor Michael Hajek erklärt. Denn „ORF2“ bleibt rechts und der 2er ein richtiger 2er.


Nur nicht aufregen. „Es ist ein großer Unterschied, ob man für eine gewachsene, starke Marke wie den ORF arbeitet, oder für einen unbekannten Spartensender wie DMAX, der natürlich Krach machen muss“, sagt Puschacher. Unaufdringlich, zurückgezogen wie in einem Lounge-Sessel, so soll „ORF eins“ wirken, optisch wie akustisch. Selbstbewusst gelassen. Dazu hat man die Mischfarbe „Petrol“ gewählt und ihre Sättigung sanft zurückgedreht. „Wir setzen keine typischen Strahlfarben ein, die Farbcodierung ist bewusst sehr gedämpft“, so Hajek. Schnell identifizierbar muss das Design sein, als Stopper für flinke Channel-Surfer. Und: „Ein kontrastreiches Verhältnis der Grafik zu den Bildinhalten ist essenziell“, erklärt Kartak. Genauso wie der Rhythmus. Was zeigt man, wie groß und vor allem auch wie lange?

„Die Nutzer sollen sich zuhause fühlen“, sagt Puschacher. Doch von anderen einrichten lassen wollen es nicht alle Seher. Der ORF gibt sich leise, visuell. Dafür schreien die TV-Konsumenten in ihren Internet-Postings. „Der ORF ist eben auch ein Stückchen Heimat.“ Ähnlich unantastbar wie Manner-Schnitte, Stephansdom und „Stille Nacht“. Umso schwieriger, auch nur sanft die Heimat zu berühren. Die Posting-Lawine beweist es. „Grafik ist immer der ,battle-Ground‘“, sagt Kartak. Denn die erste Angriffsfläche ist wie meistens – zuerst die Oberfläche.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.12.2010)

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