Nußbaumer: "Fühlte mich gefangen in dieser Nähe"

Nussbaumer Fuehlte mich gefangen
Nussbaumer Fuehlte mich gefangen(c) FABRY Clemens
  • Drucken

Der ehemalige Journalist und Präsidentensprecher Heinz Nußbaumer spricht im "Presse"-Interview über seine Begegnungen mit den Mächtigen der Welt und die Gefahr, sich dabei instrumentalisieren zu lassen.

Sie trafen alle: Ronald Reagan, Zhou Enlai, Helmut Kohl, hatten Zugang zu sämtlichen Premierministern, Präsidenten und Königen im Nahen Osten. Warum haben Sie nach 25Jahren den Beruf des außenpolitischen Journalisten aufgegeben und wurden Pressesprecher von Kurt Waldheim?

Heinz Nußbaumer: Ich war mit Leib und Seele Journalist und hatte das Glück, in einer Zeit unterwegs zu sein, in der Österreich einen größeren außenpolitischen Stellenwert hatte. Das lag an Bruno Kreisky, UN-Generalsekretär Kurt Waldheim, Kardinal König und anderen Persönlichkeiten – und am damaligen Stellenwert der Neutralität. Von der heutigen Politik muss man nicht unbedingt eine Kernschmelze außenpolitischer Aktivitäten erwarten. Durch das Poolen der Verantwortung in der EU, die Öffnung des Eisernen Vorhangs, die Entdeckung Osteuropas ist viel an globaler Sicht verloren gegangen.

Es ist erstaunlich, wie viel Zeit Sie für Reisen und deren Vorbereitung hatten.

Journalisten haben es heute viel schwerer. Ich hatte in Hugo Portisch einen großen Chefredakteur, einen späten Vater und Bruder im Geist, der mich hinausgetrieben hat in die Welt. Heute machen Mächtige auch in entfernteren Ländern mehr zu als zu meiner Zeit. Ich bin als Journalist immer mit dem Bonus herumgefahren, Österreicher zu sein. Das war vor allem in der arabischen Welt ein Vorzug, der Türen geöffnet hat. Und ich hatte natürlich meine Tricks.

Und zwar?

Ich hatte immer Fotos dabei, die mich mit anderen Präsidenten gezeigt haben, und für die Sekretärin des Präsidenten eine Sachertorte. Und ich versuchte Arabisch zu lernen. Es löste bei Gesprächspartnern ganz andere Emotionen aus, wenn man Arabisch sprach. Der Emir von Bahrain wollte mir ein Pferd schenken, Gaddafi (Libyens Diktator, Anm.) gab mir Orangen und Muscheln für meine Kinder mit. Es bestand immer auch eine emotionelle Bindung. Das war ein Vorzug, aber auch eine Schwäche, eine Gefahr.

Die Gefahr, Sie zu instrumentalisieren...

Bei Bruno Kreisky habe ich eine Zeit gebraucht, dieses Risiko zu durchschauen. Er hat mich ja dann auch gelegentlich als „Briefträger“ zwischen den Nahost-Fronten verwendet.

Warum machte das Kreisky?

Er hat versucht, sich außenpolitische Journalisten in Österreich körpernah zu halten. Wenn dich ein Kanzler oder Außenminister nach einer Reise schon auf dem Flughafen ausrufen lässt oder dich am Abend vor einer politischen Initiative um deine Meinung fragt, dann ist es schwer, am nächsten Tag einen kritischen Kommentar darüber zu schreiben. Ich fühlte mich mehr und mehr gefangen in dieser Nähe.

Auch zu Waldheim?

Natürlich, mit ihm war ich zu dessen Zeit als UN-Generalsekretär viel unterwegs im Nahen Osten. Ich hatte das Problem aber auch mit König Hussein von Jordanien, für dessen Kinder ich Kasperltheater gespielt habe. Ich hatte aber auch Schwächen in meiner journalistischen Arbeit. Ich habe versucht, Menschen auf einer Sympathiewelle zu gewinnen. Das ist mir auch gelungen. Aber wenn man einmal ins Private hineinkommt, ist es schwer, wieder herauszukommen. Ich bin durch diese Methode jedoch nicht dem natürlichen Prozess des Journalisten entgangen, der im Interessengeflecht einmal in der Sonne und einmal im Schatten steht.

Sie haben Communiqués mitformuliert, Ägyptens Präsident Sadat die Tischrede für Kreisky eingehaucht. Sie waren bis zu einem gewissen Grad „embedded“, eingebettet in die Politik.

Ich habe mich bei dem erst später erfundenen Begriff „embedded“ angesprochen gefühlt. In der Erkenntnis, dem ausgeliefert zu sein. Aber ich habe dem über lange Zeit auch Widerstand geleistet. Oft spielten sich Dramen in mir ab. Kann ich so kritisch schreiben, wenn ich den doch so gut kenne? Ich habe in meinen 25 Jahren als Journalist oft auch Freundschaften verloren.

Was war Ihre eindrucksvollste Begegnung als außenpolitischer Journalist?

Nicht immer waren die Mächtigen die eindrucksvollsten. Oft genug waren Gespräche in Strohhütten erfüllender. Von den Machthabern war Zhou Enlai am interessantesten. Er war unfassbar wissend. Er legte eine Analyse des Südtirol-Problems hin, zu der kein österreichischer Politiker fähig wäre. Auch Jordaniens König Hussein hat mich beeindruckt, wie er in einer unmöglichen Situation das Überleben Jordaniens trotz einer palästinensischen Mehrheit gesichert hat. Mein beeindruckendstes Erlebnis war der Besuch des ägyptischen Präsidenten Sadat 1977 in Jerusalem, die Nacht auf dem Flughafen in Tel Aviv, die Umarmungen, wir haben alle geheult wie die Schlosshunde.

Aber Sie haben offenbar auch gehadert mit dem Beruf des Journalisten. In Ihrem Buch schreiben Sie, es sei eine Schwäche des Journalismus, ständig Wertungen abgeben zu müssen, ohne sie überprüfen zu können.

Georg Hoffmann-Ostenhof („Profil“-Außenpolitikchef, Anm.) ist einmal bei einem Diplomaten-Skiausflug neben mir stehen geblieben und hat gesagt: Weißt du, dass wir den schönsten Beruf haben? Diese Frage hat mich immer begleitet, als Frage und als Gewissheit. Geblieben ist die Gewissheit. Aber natürlich habe ich mich oft gefragt, wie leichtfertig man Urteile abgibt. Und: Ich war in meinem Berufsleben mehrmals verlockt, die Fronten zu wechseln.

Hatten Sie Angebote, Politiker zu werden?

Wolfgang Schüssel bot mir nach meinem Ausscheiden aus der Hofburg (1999, Anm.) an, Sprecher der EU-Präsidentschaft zu werden. Ich habe es dann nicht gemacht. Ursula Plassnik bot mir an, Regierungsbeauftragter für den Religionsdialog zu werden. Das hätte mich sehr gereizt. Dann gab es noch die Idee von arabischer Seite, als Sonderbeauftragter des Bundespräsidenten in der Region herumzufahren. Aber da hat mich Hugo Portisch zu sehr geprägt, der immer gesagt hat: Wir sind Journalisten und lassen uns von niemandem die Freiheit nehmen und in Parteilichkeiten hineindrängen.

Zurück zu meiner Eingangsfrage: Warum haben Sie 1989 aufgehört, Journalist zu sein?

Ich hatte immer den richtigen Beruf, aber leider den falschen Körper. Ich hatte mit 16Jahren meinen ersten Krebs, wanderte durch Krebskliniken, wo vier von sechs Patienten im Zimmer gestorben sind. Ich bekam sehr starke Bestrahlungen, turnte mich irgendwie drüber und habe dann den dafür wahrscheinlich ungesundesten Beruf ergriffen. Alle Klimawechsel und Essensungewohnheiten in anderen Kulturen haben bei mir durchgeschlagen. Nach Magenoperationen, durchtrennten Magennerven und dem Verlust der Verdauungsorgane haben mir die Ärzte gesagt: Du musst das Charakterfach wechseln. Als die Frage, ob ich in meinem Schreiben noch innerlich frei bin, mit der Frage kulminierte, ob ich noch halbwegs gesund nach Hause komme, war klar: Jetzt muss Schluss sein. Und dann fragte mich Waldheim, ob ich zu ihm kommen will.

Haben Sie geglaubt, Sie werden eine ruhigere Kugel als Pressesprecher von Präsident Waldheim schieben?

Ich sollte zunächst nur Leiter des Presse- und Informationsdienstes der Präsidentschaftskanzlei werden. Erst später bat mich Waldheim, auch sein Pressesprecher zu werden.

Hatte Sie Waldheim schon 1986 zu seinem Amtsantritt gefragt?

Nein. Aber ich muss ehrlich sagen, ich werde bis ans Lebensende für Kurt Waldheim eintreten. Die Entdeckung der Rolle Österreichs in der NS-Zeit war ganz wichtig und mehr als überfällig, Kurt Waldheim war dafür aber das falsche Objekt. Im NS-Gauakt steht über ihn: Er hat seine Gehässigkeit gegenüber unserer Bewegung wiederholt zum Ausdruck gebracht.

Zur Symbolfigur wurde Waldheim, weil er seine Vergangenheit verharmlost und geleugnet hatte.

Da müssen Sie schon sehen, was damals in amerikanischen Zeitungen stand und wie es zu uns herüberkam: Waldheim habe Juden die Zähne herausgebrochen; Waldheim, „the Butcher“. Es war ja unfassbar. Letztlich blieb weder, dass Waldheim ein Kriegsverbrecher, noch dass er ein Nazi war.

Ihr Vater war Kriegsberichterstatter in der Nazi-Zeit. Er starb 1943. Wie wichtig war er für Ihre Entscheidung, Journalist zu werden.

Sehr wichtig. Mein Vater starb mit 35Jahren. Ein Monat vor meiner Geburt. Meine Mutter wollte aus Schmerz nicht über ihn reden. Sie gab mir zwar denselben Namen, er hieß auch Heinz Nußbaumer. Aber ich wusste lange nichts über ihn. Und dann fand ich auf dem Dachboden Kisten mit Zeitungsausschnitten: Kesselschlacht am Wolchow, Schlacht am Illmensee, Leitartikel...

Für welches Medium hat er geschrieben?

Für alle NS-Zeitungen, auch für den Völkischen Beobachter. Und dann begann ich, meinen Vater zu recherchieren, ohne es meiner Mutter zu sagen. Mein Vater war an sich Kaufmann, wurde erst im Krieg Journalist. Er wurde ausgezeichnet als bester Kriegsberichterstatter von der Ostfront. Für mich war unbegreiflich, wie ein Mensch mit einem katholischen Fundament so hineingerät. Und dann habe ich die Briefe an seine Schwester entdeckt. Darin beschrieb er das Mitgerissensein an der Front, die Kameradschaft, auch den Erfolg und die Auszeichnung. Wie das verlockt, mitzuspielen, was man nicht mitspielen darf.

Wollten Sie einmal Chefredakteur werden?

Nie, nie, nie. Es gab ein Angebot, stellvertretender Chefredakteur zu werden. Aber damit wäre das Hinausfahren in die Welt für immer vorbei gewesen.

War Portisch Ihr journalistisches Vorbild?

Vollkommen, in allem. Er hat mich vor allem auch Demut vor der Funktion des Journalisten gelehrt. Die Namenszeile verführt ja zu Eitelkeit. Ich habe von Hugo Portisch gleich zu Beginn ein paar Maßstäbe erhalten, die für mein Leben gehalten haben: Erstens, wenn man dich nicht fragt, sag niemandem, was du von Beruf bist, so angesehen ist er nicht. Zweitens: Wenn sie dir schmeicheln, meinen sie nie dich, sondern immer das Medium. Das hat mich vor einer gewissen Hybris bewahrt.

1943
Geboren in Bad Reichenhall.

1966
Nußbaumer wechselt von der „Salzburger Volkszeitung“ zum „Kurier“, dessen Außenpolitik-Ressort er ab 1971 leitet.

1989
Pressesprecher von Präsident Kurt Waldheim und von 1992 bis 1999 von dessen Nachfolger Thomas Klestil.

In seinem neuen Buch schildert Nußbaumer seine Begegnungen mit Ronald Reagan, Muammar al-Gaddafi, Jassir Arafat, König Hussein, Schah Reza Pahlevi, Helmut Kohl und vielen anderen Persönlichkeiten.

Heinz Nußbaumer: „Meine kleine große Welt“, Styria Premium, 320 Seiten, 24,99 Euro.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.12.2011)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.