"Presse" von 1912: "Titanic wäre beinahe gesunken"

Presse 1912 Titanic waere
Presse 1912 Titanic waere(c) Die Presse
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Auch "Die Neue Freie Presse" berichtete über die Schiffskatastrophe – der Untergang schaffte es erst in die Abendausgabe des 16. April. Erste Telegramme meldeten nämlich: "Opfer sind nicht zu beklagen".

In der Nacht auf den 15. April 1912 sank die Titanic - in die Morgenausgabe der "Neuen Freien Presse" vom 16. April hat es der Untergang nicht geschafft. "Das Schiff 'Titanic' wäre beinahe durch einen Eisberg vernichtet worden", lautete die Überschrift eines sehr literarisch gehaltenen Artikels auf der Titelseite. "Das größte Schiff der Welt! Und doch nur ein armseliger Zwerg, der vor der Wucht eines Eisberges in die Knie sinkt, nach allen Seiten hin um Hilfe ruft und noch glücklich sein muss, wenn das Element in seiner Übermacht ihn nicht ganz zerstört. Vierzehnhundert Menschen waren seit gestern Nacht in schwerster Gefahr, vierzehnhundert lebensfrohe, wegfreudige, reiselustige Männer und Frauen", heißt es weiter. Nach einer Abhandlung über die Maschinenkraft des Schiffes und die Naturgewalt der Eisberge folgt schließlich die Entwarnung: "Die Menschen sind ans Land gebracht worden, sie haben ihr Leben, mühsam gewiß und mit vielen Gefahren, erhalten." Am Schluss hebt der namenlose Autor des Artikels - sichtlich geschockt von der Kunde des Beinahe-Untergangs des Glanzstück der damaligen Technik - gar zum Jubel an: "Freuen wir uns, dass kein Menschenleben verloren ging. Freuen wir uns, dass selbst gegen ein solches Unglück noch Hilfsmittel gefunden wurden." Der Artikel schließt mit dem Satz: "Es ist eine Freude zu leben."

Untergang erst in der Abendausgabe

Nach und nach sickerten in den Zeitungsredaktionen Informationen über den Untergang ein. Erst in der Abendausgabe der "Presse", gut 36 Stunden nach der Kollision, wurde das wahre Ausmaß der Katastrophe geschildert: "Das größte Schiffsunglück nach menschlicher Erinnerung. Verlust von sechzehnhundert Menschen und der 'Titanic'" lautet die Überschrift des einspaltigen Artikels im oberen rechten Teil der Zeitung. Im Text selbst wird das Unglück mit dem Ringtheaterbrand vom 8. Dezember 1881 in Wien verglichen, bei dem mehr als 380 Menschen starben. Auch damals versagte die scheinbar überlegene Technik. "Das Unglück der 'Titanic' ist die größte Schiffskatastrophe, die jemals stattgefunden, das schwerste Menschenopfer, welches das Meer, soweit die Erinnerung reicht, gefordert hat", heißt es in dem hochdramatischen Bericht weiter. "Es übersteigt alle Phantasie, es raubt einem förmlich die Fassung."

Die "Presse" macht auch den Nachrichtenfluss transparent: "Die hoffnungsfrohen Depeschen, welche die White Star Line gestern veröffentlicht hatte, sind durch die Tatsachen in der schrecklichsten Weise Lügen gestraft worden", heißt es auf Seite zwei. Die Telegramme, die den "Presse"-Redakteuren vorlagen, wurden abgedruckt: "Opfer sind nicht zu beklagen", heißt es im ersten Telegramm, das in der Redaktion einlangte, datiert mit 15. April 1912. Im folgenden: "Alle Passagiere erster Klasse gerettet".

Wessen Schuld war die Katastrophe?

Auch die Frage, warum die Katastrophe nicht verhindert werden konnte, wird aufgeworfen: "Es kann die Vermutung nicht abgewiesen werden, dass die Mittel zur Verhütung eines solchen Unglücks nicht ausreichend und vielleicht doch keine genügenden Vorkehrungen zur Sicherung der Passagier getroffen waren. Bei ruhiger See, nicht allzu weit von der Küste, auf einem so großen Schiffe, dem größten der Welt, geht eine Menschenmenge in den Tod, die auf diesem Leviathan sich am allersorgenfreiesten, am allerruhigsten fühlen durfte." Um sich das vorzustellen, müsse man den Historiker Lenôtre lesen, der eine Schiffskatastrophe während der Französischen Revolution beschrieben hatte.

Einen eigenen Artikel widmet die "Presse" den "Zu Grunde gegangenen Vermögenswerten". Darin wird die britsche "Times" zitiert, wonach allein der Wert des Schmucks auf der Titanic mehr als 100 Millionen Mark betragen hätte. Auf mehr als drei Seiten beschreibt die "Presse" das Unglück in allen Facetten, auf Seite drei ist vermerkt: "Vermutlich keine Wiener und keine österreichisch-ungarischen Auswanderer verunglückt."

"Rückzugsgefecht der Natur"

Die Texte machen die kulturhistorische Bedeutung des Untergangs der Titanic, jenes Stahl gewordenen Menschheitstraums von der Bezwingung des Meeres, deutlich. So hieß es in der ersten Meldung, in der man noch von der Rettung der Passagiere ausging, noch: "Das Unglück der 'Titanic', es ist doch nur ein, wenn auch furchtbares Rückzugsgefecht der Natur, die den Übermütigen zeigt, daß ihre Kräfte nur schlummern, daß sie immer noch wuchtiger, immer noch brutaler ist, als die Menschen in ihrer ganzen Klugheit und List vermuten."

>>> Die vollständige Ausgabe der "Neuen Freien Presse" vom 16. April 1912 finden Sie unter diepresse.com/anno

(her)

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