Das Lamento der Gegner von Populisten

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US-PHILADELPHIA-PREPARES-TO-HOST-DEMOCRATIC-NATIONAL-CONVENTIONAPA/AFP/GETTY IMAGES/ALEX WONG
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Viele seriöse Zeitungen zeigen nach der Wahl des Republikaners Donald Trump zum Präsidenten der USA ein wenig Reue. Das dürfte ein Programm für Minderheiten bleiben.

Nach der Schlacht um das Weiße Haus gingen einige Medien, die den Ausgang der US-Wahlen nicht erwartet hatten, in sich. In „The New York Times“, die der Demokratin Hillary Clinton zuletzt für die Präsidentschaft Siegeschancen von 80 bis 90 Prozent gegeben hatte, wandten sich Herausgeber und Chefredakteur in einem gemeinsamen Brief an die Leser, um ihrer Klientel „die größte politische Story des Jahres“ und ihren dramatischen Höhepunkt in der Wahlnacht zu erklären.

Sie fragten sich, ob der „President elect“, der für die Republikaner siegreiche Donald Trump, durch seinen unkonventionellen Stil ihre Zeitung und auch viele andere dazu verleitet hätte, seine breite Unterstützung bei den US-Wählern zu unterschätzen. Die Chefs des Weltblatts versprachen eine Neuorientierung: „Wir wollen uns wieder der fundamentalen Mission des ,Times‘-Journalismus widmen. Damit ist gemeint, dass über Amerika und die Welt ehrlich, ohne Furcht oder Begünstigung berichtet wird, immer im Bemühen, alle politischen Perspektiven und Lebenserfahrungen in den Geschichten zu bringen, die wir ihnen bieten.“ Die Leser könnten sich auch auf die gleiche Fairness verlassen, mit der über den neuen Präsidenten und sein Team berichtet werde. Das klingt schon wieder zweideutig: Soll mehr auf die Leser gehört werden – oder auf Trump?

Aufgepasst hat jedenfalls Starjournalist David Remnick, der den scheidenden demokratischen US-Präsidenten Barack Obama unmittelbar vor und nach der Wahl im Weißen Haus begleiten durfte. Remnick schrieb darüber im Magazin „The New Yorker“einen ausführlichen Essay mit Elementen der Reportage. Gemeinsam lecken die beiden ihre Wunden. Ein toller Seelenstrip! Offenbar hatte Obama in den Tagen vor der Wahl als einer der wenigen eine düstere Ahnung davon, dass die Demokraten an fast allen Fronten verlieren würden. Kurz nach der Wahl sagte er zum Reporter, das Ergebnis sei keine Apokalypse. Die Geschichte bewege sich nicht geradlinig; manchmal gehe sie seitwärts, manchmal zurück. Dann folgt in dem Artikel seitenweise die Seelenpflege und die Sorge um das Erbe dieser Präsidentschaft.

Ein Lamento. Am meisten Erkenntnis bringt jedoch eine von Remnick zitierte, im Netz derzeit populäre Voraussage des 2007 verstorbenen US-Philosophen Richard Rorty. Der hat in „Achieving Our Country“ bereits 1998 einen brutalen Populisten für sein Land vorausgesagt: Die vernachlässigte Arbeiterklasse werde nicht dulden, dass man sie an den Rand dränge. Da werde etwas brechen: „Außerhalb der Vorstädte wird die Wählerschaft den Schluss ziehen, dass das System gescheitert sei, und sich nach einem starken Mann umsehen, den man wählen könne – jemanden, der dazu bereit ist, diesen Menschen zu versichern, dass, falls er einmal gewählt werde, die arroganten Bürokraten, trickreichen Juristen, überzahlten Aktienhändler und postmodernen Professoren nicht mehr das Sagen haben werden . . .“

Kann es sein, dass Trump damals diese Prognose gelesen hat? Er wurde genau in dieser Zeit gefragt, ob er Präsidentschaftskandidat werden wolle. Der Immo-Hai hat verneint, dann aber hinzugefügt, falls er einmal antreten würde, dann nur bei den Republikanern. Die hätten nämlich die dümmste Wählerschaft, die einem alles abkaufe.


Diktatur des Ressentiments. Es ist ein frommer Wunsch zu glauben, dass die Wähler Trumps die Botschaft seriöser Blätter zum journalistischen Ethos hören. Eine am 10. November von „Atlas“ veröffentlichte Statistik über die Leser-Interaktionen zu Artikeln diverser prominenter Medien auf Facebook in den vier Wochen zuvor ist ernüchternd. Der erzkonservative Fox News Channel kam auf 44,6 Millionen Interaktionen – mehr als sechsmal so viel wie jene der „New York Times“. Zusammen mit dem ultrarechten Dienst Breitbart (18 Millionen), der für Trump trommelte, hat Fox News mehr Aufmerksamkeit im größten sozialen Netz als CNN, „Huffington Post“, „New York Times“, „Washington Post“ und „Wall Street Journal“ zusammengenommen. Die Sprachrohre der Populisten sind wesentlich größer als jene, die als seriös gelten. Erstere stellen keine erkennbaren Überlegungen darüber an, ob man die Leser durch zu wenig journalistische Sorgfalt verletzt habe. Und in den sozialen Netzen scheint ohnehin die Diktatur des Ressentiments zu herrschen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.11.2016)

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