"Tatort": Wenn die Matratzen brennen

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Tatort(c) ORF (Uwe Stratmann)
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Der "Tatort" im "Presse"-Check: Ein tieftrauriger Fall aus Köln. Die Kommissare Ballauf und Schenk müssen herausfinden, wer eine Familienvilla in Brand gesetzt hat und drei Kinder auf dem Gewissen hat.

Ein prominent besetzter "Tatort" steht am kommenden Sonntag (23. März) am Programm. Ben Becker spielt erstmals seit 1998 wieder eine Rolle in der Krimireihe. In der Hauptrolle als verwirrt-verzweifelte Mutter brilliert Susanne Wolff. DiePresse.com hat sich die neue Episode "Der Fall Reinhardt" vorab angesehen:

Worum geht's?

In der Kölner Vorstadt ist eine Villa ausgebrannt. Als die Kommissare Max Ballauf und Freddy Schenk am Tatort ankommen, finden Sie am nahen Rheinufer eine völlig verwirrte und zersauste Frau (Susanne Wolff), die immer wieder "Mein Mann" schreit. Erst später wird sie erfahren, dass ihre drei Kinder den Brand nicht überlebt haben. Und ihr Mann Gerald Reinhardt (gespielt von Ben Becker), den sie so verzweifelt rief, ist verschwunden. Das allerdings nicht erst seit der Brandnacht, wie sich nach und nach herausstellt, sondern schon fast zwei Jahre. Nach und nach rekonstruieren die Ermittler die Familiengeschichte der Reinhardts. Zwischenzeitlich aber sieht es so aus, dass der Brand von einem Serientäter gelegt wurde, der seit Wochen in Köln Häuser anzündet. Eine Nebenhandlung, die verwirren soll.

Wer ermittelt?

Die gleichermaßen mürrischen wie liebenswürdigen Kommissare Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) haben den Verlust ihrer langjährigen Assistentin Franziska Lüttgenjohann (die in der letzen Folge brutal ermordet wurde, weil Schauspielerin Tessa Mittelstaedt aufhören wollte) nicht vollkommen verwunden, aber sie wissen, der Alltag im Kommissariat muss weitergehen. Der neue Assistent Tobias Reisser (Patrick Abozen) ist ein fleißiger Softie, der von so manchen anderen Kollegen nicht ernst genommen wird. Den besten Dialog in dieser Folge hat aber jedenfalls er bekommen: Als Ballauf und Schenk vom Brand-Tatort zurückkehren, sagt er zu Ballauf: "Darf ich Ihre Jacke haben". - Ballauf entgeistert: "Warum?" - der Neue darauf: "Sie riecht". Gewohnheitsmenschen sei gesagt: An den Softie, der beim Gespräch mit den holländischen Kollegen auch noch ein  passables Englisch auspackt, sollten Sie sich nicht gewöhnen. Denn die Kölner Assistenzstelle wird bis auf weiteres nicht fest besetzt. Es könnte also jede Folge ein neuer Assi auftauchen. Immerhin ist der kahlköpfige Rechtsmediziner Dr. Joseph Roth noch da. Die Fernsehspielchefin des Hessischen Rundfunks Liane Jessen erklärte dem "Tagesspiegel" unlängst, dass "Tatort"-Kommissare "die modernen Helden unserer Zeit" seien. Ähem. Also auf die Kölner Kommissare trifft diese Aussage ziemlich sicher nicht zu.

Wird's brutal?

Nicht brutal, aber sehr traurig. Schließlich geht es um den Tod von drei Kindern, die wir als Zuseher aber nie zu Gesicht bekommen. Obwohl in diesem "Tatort" kein Blut fließt, keine Schüsse fallen und keine Leichen in der Pathologie zu sehen sind, liegt eine subtile Brutalität und die eine große Frage über dem Fall: Wer ist so krank und zündet die Matratzen von schlafenden Kindern an? Die brutalsten Szenen sind ein, zwei Rückblenden auf einige Ausraster von Familienvater Gerald Reinhardt.

Tatort
Tatort(c) ORF (Uwe Stratmann)

Worum geht's wirklich?

Um das Scheitern und den Verfall einer Ehe. Gerald Reinhardt verliert seinen Job als Luftfahrtingenieur und findet über Monate keinen neuen. Seine Frau Karen will ihren Lebensstandard mit großer Villa, Privatschule und Auto aber nicht aufgeben und setzt ihren Mann unter Druck. Der ertränkt sein Leid in Alkohol, kommt immer seltener nach Hause, verwahrlost - und ist eines Tages weg, hinterlässt nur eine Postkarte: "Ich konnte nicht mehr". Die älteste Tochter jammert aber nur, wieso die Mutter ihr das Pferd nicht mehr zahlen kann.

Was macht diesen „Tatort" besonders?

Es sind vor allem die Hauptdarsteller Susanne Wolff und Ben Becker, die diesen Fall tragen. Wobei Becker erst sehr spät auftritt und wenig Sprechszenen hat, sich aber als Meister im Traurig-schauen und Gebrochensein zeigt. Ein Mal sieht er so eindringlich kummervoll in die Kamera und uns Zuseher an, dass es einen fröstelt. Susanne Wolff als verlassene Mutter, die den Tod ihrer Kinder zuerst nicht begreift und der erst nach und nach die Erinnerung an die Brand-Nacht kommt, ist beeindruckend. Sie spielt diese Karen Reinhardt in vielen Facetten: Verwirrt, trauernd, völlig lethargisch, dann wieder manisch, wütend und lebensgefährdet. Die Stärke des Falles ist auch, dass er, obwohl es um ein so alltägliches Thema wie Arbeitslosigkeit und Eheprobleme geht, nie platt oder abgedroschen wirkt.

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Tatort(c) ORF (Uwe Stratmann)

Wo hakt's?

Für manche soll ja die besonders hohe Dichte an Verdächtigen eines der wichtigsten Kriterien für die Qualität eines "Tatort" sein. Aber diesmal sind es einfach zu viele mit schwachen Motiven: Der Hausmeister, der mit Benzinkanistern hantiert, das Ehepaar Reinhardt, das frühere Kindermädchen der Reinhardts. Manchmal ist weniger einfach mehr. Eine Einschränkung gibt es übrigens zur vorigen Antwort: So alltäglich die Probleme in diesem Fall erscheinen, so dick aufgetragen und unrealistisch wird der Fall gegen Ende.

Wer soll es sich ansehen?

All jene, die beim "Tatort" vor allem die unblutigen, gewaltfreien Fälle schätzen, aber kein Problem mit toten Kindern haben. Freunde von gut besetzten deutschen Fernsehfilmen ohne Ausreißer nach oben oder unten. Und alle, die Trost im Scheitern von Ehen anderer finden können.

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