"Tatort": Kinder, die mit Geigen schlagen

Tatort: Ohnmacht
Tatort: Ohnmacht(c) WDR/Martin Menke
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Der "Tatort" im Presse-Check: In "Ohnmacht" wird der Kölner Ermittler vor die U-Bahn geschubst. Verdächtig: gewaltbereite Teenager mit guter Kinderstube.

Worum geht's?

"Tatort"-Kriminalhauptkommissar Max Ballauf hat sich gerade am Würstelstand eine Currywurst mit Bier gegönnt und macht sich nach Feierabend auf den Heimweg. Am Bahnsteig der U-Bahn-Station wird er Zeuge einer Schlägerei: Ein Mann mit Geigenkasten wird heftig verprügelt. Ballauf schreitet ein, wird zu Boden geschlagen, rappelt sich wieder auf und wird auf die Gleise geworfen. Der Zug braust heran, er überlebt nur, indem er sich flach auf den Boden drückt. Als die Einsatzkräfte eintreffen, sind die Täter verschwunden, und am Bahnsteig will keiner etwas gesehen haben. Der Geiger schwebt in Lebensgefahr, Kommissar Ballauf ist vor allen Dingen wütend, und eine Gruppe von Teenagern rückt in den Verdacht der Ermittler.

Worum geht's noch?

Was tun mit Kindern, die - allem Anschein nach - andere verprügeln, Spuren verwischen, kaltblütig lügen, frech zu Beamten sind und dabei noch um ihr Recht zu schweigen Bescheid wissen? Die Tatverdächtigen treiben die Ermittler in den Wahnsinn und ihre eigenen Eltern zur Verzweiflung. Denn, das meinen zumindest Mama und Papa: Kinder aus gutem Hause haben keine Lederjacken zu tragen, sich nachts in U-Bahn-Stationen herum zu treiben und - vor allem - sie haben nicht mit dem Gesetz in Berührung zu kommen. Der "Tatort" zeigt den Kampf, den liebende Eltern täglich mit außer Kontrolle geratenen Kindern führen müssen. Und wer ist Schuld daran? Kinder oder Eltern?

Wer ermittelt?

Das Kölner Team, bestehend aus den Kommissaren Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär), unterstützt von der reizenden und toughen Kriminalassistentin Miriam Häslich (Lucie Heinze). Wobei: Da Ballauf von der Tat selbst betroffen ist, darf er freilich nicht in eigener Sache ermitteln - was er sich natürlich trotzdem nicht nehmen lässt. Querelen mit der Staatsanwaltschaft sind also vorprogammiert, zumal er im Eifer der Arbeit auch den ein oder anderen (minderjährigen!) Verdächtigen bedrängt oder einen Haftbefehl erschleicht. Wo genau die Fingerabdrücke gefunden wurden, ist ja nicht so wichtig, Hauptsache die blonde Göre sitzt erst mal in U-Haft. Kommissar Schenk, der stets für die Ausfälle seines Kollegen gerade steht, ist ebenso frustriert: Gestehen will keiner, und die Beweise, die die Ermittler auftreiben, überführen nie so ganz. Noch dazu ist das Jugendstrafrecht stets auf der Seite der jungen Verdächtigen. "Es gibt eben auch Scheißtage", kommentiert Staatsanwalt von Prinz die Situation.

Wird's brutal?

Die kurze U-Bahn-Szene am Beginn ist schon der Höhepunkt der Gewalt. Ab da wird aufgerollt: Wer war es, warum hat keiner etwas gesehen, und, wie Kommissar Ballauf nicht müde wird zu fragen: "Wer hat mich jetzt vor die U-Bahn gestoßen?"

Was gefällt?

Die Kölner Ermittlerstube ist im digitalen Zeitalter angekommen. Was die Kommissare mit leichtem Kopfschütteln goutieren (immerhin weiß Schenk, was "lol" bedeutet), hilft letztlich dabei, der Lösung des Falls ein Stück näher zu kommen: So werden Pixelfehler einer Kamera analysiert, IP-Adressen zurückverfolgt und Verhörprotokolle mittels automatischer Texterkennung verschriftlicht. Vorangetrieben wird die Modernisierung des Kommissariats von der sympathischen neuen Assistentin Häslich: "Ich bin ja IT-Fachfrau und keine Tippse." Dass Fotos vom Tatort auf einem Blog landen und Ballauf dabei zum Opfer eines Shitstorms wird, behagt dem aufbrausenden Kommissar aber gar nicht. Alles löschen, bitte.

Wo hakt's?

Eine Jugendbande, die spontan in einer U-Bahn-Station einen Fremden ins Koma prügelt? Aus Jux und Tollerei? Natürlich rebellieren sie gegen das herzeigbare Elternhaus, zwischendurch schwenkt der Fall auf einen angeblichen sexuellen Missbrauch. Doch die Motive der jungen Schläger bleiben im Dunkeln. Der "Tatort" zeigt die Gewissenskonflikte der Eltern, die Frustration der Kommissare. Doch was in den Jugendlichen vorgeht, erfahren wir nicht. Außerdem kennt man den Fall so ähnlich schon aus dem Berliner "Tatort" "Gegen den Kopf".

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