„Agatha Christie ist wie Sudoku“

Alexander spielt Miss Marple Streiche: Der ORF zeigt Christies ''16 Uhr 50 ab Paddington'' morgen Nacht, 0.00 Uhr. Schon heute Abend unterstellt eine Dokumentation der Autorin einen ''Code''.
Alexander spielt Miss Marple Streiche: Der ORF zeigt Christies ''16 Uhr 50 ab Paddington'' morgen Nacht, 0.00 Uhr. Schon heute Abend unterstellt eine Dokumentation der Autorin einen ''Code''.(c) ORF
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Der ORF zeigt heute Abend eine britische Doku über den geheimen „Code“ der Krimiautorin. Putziger Versuch, aber selbst die Doku beweist: Es gab keinen Code.

Ihre Figuren „sagen“ immer nur: Bei all den Möglichkeiten, die die englische Sprache einem Autor bietet, eine Figur reden zu machen, verwendete Agatha Christie fast ausschließlich das Wort „say“. Kein „erwähnen“, kein „abstreiten“, kein „herausprusten“ nach einer wörtlichen Rede. Sie beschränkte ihr Vokabular aufs Durchschnittsenglisch. Die Texte sind deshalb einfach zu lesen, man kann sich ganz auf den Plot der Geschichte konzentrieren. Das beobachten britische Sprachforscher; in einer Dokumentation stellen sie nun weitere Ergebnisse vor: ORF2 zeigt sie heute Abend, ca. 23.30Uhr, im Rahmen des „Kulturmontags“.

Die Doku bringt dabei interessante Skurrilitäten ans Tageslicht, scheitert aber an ihrer Aufmachung im „CSI“-Stil und der inszenierten Aufgeregtheit – alleine den Titel „Christie-Code“ assoziiert man unweigerlich mit dem „Da-Vinci-Code“ („Sakrileg“) von Dan Brown, einer der erfolgreichsten verfilmten Romane der letzten Jahre, um den tatsächlich ein Hype entstand.

Bitte nicht mit Shakespeare vergleichen!

Außer William Shakespeare habe kein Schriftsteller so viele Bücher verkauft wie sie, wird gleich zu Beginn der Sendung betont. Bei aller Achtung vor Mrs. Christie – selbst lose Vergleiche mit Da Vinci und Shakespeare hat sie nun wirklich nicht verdient.

Das beweist die britische Dokumentation von Ben Warwick nur: Sie baut ihre Theorie auf wackligem Grund, auf den Verkaufszahlen der Christie-Krimis nämlich und dem „Versinken“ der Krimileser in ihre Romane, einer „Trance“ – ja, die Lesegeschwindigkeit nehme gegen Ende des Buches stetig zu, heißt es. Nun, das soll tatsächlich auch schon bei Werken anderer Schriftsteller vorgekommen sein, möchte man einwerfen. Doch: Die Sendung vermutet als Erfolgsgeheimnis einen „Code“, der mittels „Computerprogramm“ entschlüsselt werden soll.

Das bringt Witziges ans Licht – wenngleich diese Enthüllungen jetzt vielen künftigen Christie-Lesern die Spannung nehmen: Alle Romane, die weniger als 55.000 Wörter umfassen, entlarven zum Schluss einen männlichen Mörder. Ab 70.000 Wörtern handelt es sich um eine Mörderin. Eine weitere Korrelation: Beginnt der Krimi mit Verkehrsmitteln auf der Straße (Auto, Fahrrad etc.), ist eine Frau der Bösewicht. Bewegen sich die Handelnden zuerst auf dem Luft- oder Wasserweg fort, war der Mörder der Gärtner oder eine andere männliche Figur. Dem ist auch so, wenn das Wort „ein“ oft, „ich“ hingegen selten vorkommt. „Dessen muss die Autorin sich gar nicht bewusst gewesen sein“, räumt ein Sprachforscher ein.

Trotzdem lässt die Dokumentation nicht ab von der Hypothese, dass Christie eine „Schablone“ hatte. Abgesehen davon, dass zu oder vor Beginn ein Mord passiert, wird diese aber nicht untermauert. Schwach.

Genial – wie James Bond

Dass auch die gesamte Romanstruktur stets ähnlich sei, findet ein Hypnotiseur: Die Leute mögen das Bekannte, wie bei James Bond – „das ist das Geniale“. Dass die Autorin ihre Leser in Trance versetzt, versucht ein NLP-Lehrer zu untermauern: Sie kontrolliere die Gedanken ihrer Leser, indem sie Kernwörter drei Mal pro Absatz wiederhole. Und sie überfordere den Leser absichtlich, mute ihm immer mehr Personen, Handlungsstränge etc. zu, als er auf einmal fassen könne: Der Leser lese sich so in Trance, fühle die Handlung, statt sie zu verstehen, und habe „Angst an einem sicheren Ort“. Es sei wie beim Sudoku, heißt es in der Doku: Nach der Auflösung komme es zu einer Serotonin-Überflutung des Gehirns – „und dann müssen wir noch eins lesen“.

Ist also doch wieder alles nur Chemie...

ZUR PERSON

Im 1. Weltkrieg arbeitete Agatha Christie (1890–1976) als Krankenschwester, in dieser Zeit schrieb sie ihr erstes Buch, es folgten über 60. Aufsehen erregte 1926 ihr zehntägiges Verschwinden, an das sie keine Erinnerung hatte; sie tauchte unversehrt wieder auf.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.07.2008)

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