An dieser "Côte d'Azur“ will man lieber nicht stranden: Blum und Perlmann ermitteln im Obdachlosenmilieu - und streiten sich. Sonntag im ORF.
Unsere Wertung für diesen "Tatort":
3,5 von 5 Punkten.
Worum geht's in "Côte d'Azur"?
Es weihnachtet am Bodensee. Eine junge Mutter macht sich hektisch für ein Date zurecht. Die Weihnachtslieder hat sie wohl nicht für sich aufgelegt, sondern um ihren kleinen Sohn zu beruhigen, dessen immer quengeliger werdendes Weinen sie mit einem kräftigen Zug aus der Sektflasche quittiert. Kurz darauf macht sie sich im Dunkeln mit dem Kind auf den Weg und läuft auf einem einsamen Pfad ihrem Mörder in die Arme – einem Weihnachtsmann. Pech für Klara Blum und Kai Perlmann, dass es einen ganzen Trupp Obdachloser gibt, die als Weihnachtsmänner verkleidet Geld sammeln – jeder könnte es gewesen sein . . . sogar die einzige Frau, die in der desolaten Absteige namens "Côte d'Azur" aufkreuzt. Die Ermittlungen führen immer weiter an den Rand der Gesellschaft – zu Schlägern (als cholerischer ehemaliger "Bullen-Arsch" überzeugend unsympathisch: Andreas Lust), zu Sandlern und Junkies.
Wer ermittelt?
"Weißt Du was? Du gehst mir echt auf den Sack!". Diesmal platzt Kara Blum (Eva Mattes) der Kragen, weil ihr Kollege Kai Perlmann (Sebastian Bezzel) erst die Beweise vom Tatort sammeln will, bevor er nach dem verschwundenen (und dann halb erfrorenen) Baby der Toten suchen lässt. Der Aufprall von Blums mütterlichen Instinkten auf Perlmanns Kombination aus Lehrbuchtreue (erst Beweise suchen) und schlechtem Gewissen (dann nächtelang neben dem komatösen Kind wachen) sorgt dafür, dass dieses eher farblose "Tatort"-Duo sein Profil ein wenig auffrischen kann. Auch Perlmanns Einstellung gegenüber den Obdachlosen geht Blum gehörig gegen den Strich. Da geht einmal nicht alles ganz so glatt. Gut so.
Was gefällt?
Die Story beginnt wie ein veritabler Thriller. Und sie stellt mehr als nur die Frage: Wer hat es getan? Es geht dezidiert auch darum, ob ein Menschenleben mehr wert ist als das andere. Der bornierte Kinderarzt bringt es mehrmals krass auf den Punkt: „Gut, dass Mama tot ist“, flüstert er dem Kleinen zu. Eine Säuferin, die ihr Kind bis zum Schädeltrauma schüttelt, ist für ihn nichts als Abschaum, Harz-IV-Empfänger in der zweiten, dritten Generation auch. Am Ende ist der Tod der Mutter für das Kind tatsächlich eine Chance.
Was noch?
Nicht nur Blum spricht in diesem "Tatort" ziemlich scharfen Klartext. Franzi, die Freundin der Toten (beeindruckend hysterisch im kalten Entzug: Friederike Linke) raubt dem Ermittlerduo alle Illusionen: "Es ist nicht schwierig, sich durch die Stadt zu fressen und zu saufen." So lange die Mädels jung und hübsch sind. Einer derjenigen, die solche Parties schmeißen, ist Musik-Star Jürgen Evers. Eine kleine Glanzrolle für Markus Hering als alternder Playboy, der sich – auch mit klaren Worten – dann doch noch besinnt: "Ich bin nicht besonders charmant. Ich sehe nicht besonders gut aus. Ich habe einen kleinen Schniedel – also was wollt ihr von mir?" Vermutlich das Geld, das am anderen Ende der Gesellschaft fehlt. Doch auch darüber darf man ein wenig schmunzeln, wenn sich die Obdachlosen für den Besuch im Krankenhaus im eiskalten Fluss waschen. Seife gibt’s. Dazu so wenig Wasser wie möglich (zu kalt!). Aber Deo? "Grüner Apfel?", schnuppert einer, bis ihm ein Licht aufgeht: "Raumspray?!?" Hauptsache, es wirkt.
Wo hakt's?
Weihnachten am 1. November nervt! Und: Bitte nicht so naiv! Dass die Obdachlosen gemeinsam für das Feuerholz sparen, einen Weihnachtsbaum mit ausgetrunkenen Weinkanistern (oder so was ähnlichem) schmücken und idyllische Lieder singen - da war wohl der Wunsch der Vater des Drehbuchs. Und dass der Herr Kommissar, der neben dem Bettchen des betäubten Kindes sitzt, zum Kreuz an der Wand aufblickt und die einfache Formel spricht: "Ich hab nie an Dich geglaubt, aber jetzt brauche ich Deine Hilfe" - samt Hinweis, er wäre "natürlich dann bereit, meine Einstellung zu Dir zu ändern" klingt ein bisschen nach Schulaufsatz. Ach ja: Und die zwei obdachlosen Sucht-Mädels sind Vegetarierinnen. Wer's glaubt . . .