"Blaubarts Geheimnis": Mörder im Mann

Bei einem bewegenden Probenbesuch lässt sich „Blaubarts Geheimnis“ erahnen, wie es demnächst auf die Bühne kommt.

TIPP

Noch herrscht munteres Treiben auf der Bühne und im Zuschauerraum. Tänzerinnen und Tänzer dehnen und strecken sich, knicken und drehen ihre Körper in absurde Positionen. Viele müssen, alle wollen anwesend sein, bei der ersten Bühnenprobe in Kostüm und Maske. Zehn Tage vor der Premiere; „Blaubarts Geheimnis“ ist in den Körpern der Tänzer bereits fest verankert. Mia Johannsson und Uwe Fischer, Ballettmeisterin und -meister aus Wiesbaden, haben mit den Damen und Herren des Wiener Staatsballetts im Probensaal intensiv trainiert.

Keine einfache Arbeit. Die Choreografie von Stephan Thoss – der ehemalige Tänzer regiert nach Stationen in Dresden, Kiel und Hannover seit 2007 das Ballett am Hessischen Staatstheater Wiesbaden, wo 2011 auch seine „Blaubart“-Version uraufgeführt worden ist – ist dynamisch bis brutal, explosiv und hoch emotional. Nicht so einfach für ein klassisch ausgebildetes Ensemble, die eckigen Bewegungen und komplizierten Verschlingungen sauber auf den Bühnenboden zu setzen. Auf dem Boden sind allerdings, so will es Choreograf Thoss, nicht nur die Füße, es wird gerollt und geschleift, gerutscht und geschoben, auf dem Rücken wie auf dem Bauch. Die Damen müssen sich allerhand gefallen lassen, wenn die Männer beim Balzen zeigen wollen, dass sie die Zügel der Beziehung in der Hand halten.

Liebeslust und Machtkampf. Ums Balzen, Flirten, Erobern und Dominieren, aber auch ums Zurückziehen, Abstoßen, Scheitern und Unterwerfen geht es im ersten Akt des neuen Balletts, und das ist, trotz aller sinnlichen Energie, nicht immer lustig. Ein Stück von Blaubart steckt in jedem Mann. Liebeslust wird da rasch zum Machtkampf. Ein Aperçu im Bühnenbild – wie die in gedämpften Farben seidig schimmernden Kostüme, ebenfalls von Stephan Thoss entworfen – stimmt nachdenklich. Links, hoch oben auf der schrägen, aus der Perspektive geratenen Wand steht bedrohlich eine Männerfigur. Rührt sich nicht. Rechts hängt eine Frau im blutroten Gewand kopfüber am Treppengeländer. Tot. Ergebnis des Geschlechterkampfs oder doch nur eine Reminiszenz an den Ur-Blaubart? Im grausigen Märchen von Charles Perrault, „La Barbe bleue“, darf der Mann seines Sieges freilich nicht sicher sein. Die letzte Frau, Judith, nimmt ihm mithilfe der Familie nicht nur seine Reichtümer, sondern auch das Leben. Thoss lässt sich von dem Gruselmärchen aber zu einer anderen Geschichte inspirieren. Diese handelt von der Unmöglichkeit und Möglichkeit der Liebe.

Nahezu ohne Unterbrechung lässt Thoss den ersten Akt zur Musik von Henryk Górecki abschnurren. „Die Tänzer müssen ein Gefühl für den Raum und den Ablauf bekommen, da darf man nicht allzu viel unterbrechen“, meint er. Nur hie und da werden eine Position korrigiert, ein Auftritt verbessert. Wobei „Auftritt“ nicht immer als solcher bezeichnet werden kann: Die schrägen Wände reichen nicht bis zum Boden des trapezförmigen kahlen Raums, sondern erlauben es den Frauen und Männern, die da ihre Beziehungsmuster proben, aus dem Nichts hervorzukriechen, sich zu winden und zu paaren.

Reifer Mann und junges Mädchen. Schön gelingen die Pas de deux, manche sanft, fast zärtlich, andere ziemlich wild, die auch Mitgliedern des Corps solistische Auftritte bescheren. Góreckis Musik („Drei Stücke im alten Stil“, „Konzert für Klavier und Streichorchester“, „Kleines Requiem für eine Polka“) ist teils beklemmend und düster, teils überaus gefühlvoll und zart. Glaubt Stephan Thoss an die Liebe? Spontan antwortet er mit: „Ja“. Kann sie auch zu einem guten Ende führen? „Wenn sie ehrlich ist, schon. Sie werden es am Schluss ja sehen.“

Davor aber lernen einander Blaubart, der sich an dem expressiven Beziehungsspiel nicht beteiligt hat, und Judith kennen. Der reife Mann und das junge Mädchen. Kirill Kourlaev, nicht blond wie es seine Natur ist, sondern dunkel mit Bart (natürlich) und Alice Firenze, eine Genueserin mit dunklem Lockenhaar, fast bis zu den Hüften, die „Fee der Schönheit“ in „Dornröschen“, aber auch die Zigeunerin in „Romeo und Julia“. Wie Kourlaev hat sie bereits in Patrick de Banas modernem Ballett „Marie Antoinette“ getanzt: „In letzter Zeit habe ich öfter so düstere Rollen gespielt, die interessieren mich ohnehin mehr. Dieses Ballett ist sehr schwer, aber durch die Rollen in ‚Marie Antoinette‘ haben wir schon Erfahrung mit den komplizierten Bewegungen.“ Am Ende des ersten Teiles stehen sie starr – und starren einander quer über die gesamte Bühne an. Wenn nicht Liebe, dann Faszination auf den ersten Blick.

Die Mutter, eine Schlüsselfigur. Jetzt muss eine Pause sein, und die ist bei der ersten Probe auf der Volksopernbühne noch recht lang. Der Umbau ist kompliziert. Sich bewegende, drehende Wände, Türen, die auftauchen und verschwinden, geschoben werden müssen, Blaubart führt die neue Eroberung auf sein Schloss. Soll die Beziehung gelingen, muss die wüste Vergangenheit bewältigt, Blaubarts Geheimnisse aufgedeckt werden. Dazu passt die Musik von Philip Glass („Façades“, „Company“, „The Secret Agent“, „Tirol Concerto for Piano and Orchestra“). Noch kommt sie von der CD, aber bei der Premiere wird das Volksopernorchester, geleitet von Wolfgang Ott, der auch die Uraufführung dirigiert hat, die minimalistische Musik spielen.

Ganz in Schwarz sitzt auch Dagmar Kronberger am langen Tisch oben. Blaubarts Mutter. „Die spielt in dieser Choreografie eine wichtige Rolle. Ich glaube, sie ist schuld, dass er keine Beziehung aufbauen konnte“, verrät Kourlaev das letzte Geheimnis Blaubarts. Die Inszenierung ist wohl ein schwieriges Unterfangen, das inklusive der subtilen Lichtchoreografie (Klaus Krauspenhaar) noch einiger Proben bedarf. Nach drei Stunden ist jedoch die Zeit der Bühnenprobe abgelaufen. Im falschen Winkel bleiben Wände und Türen einsam auf der Bühne, das Licht erlischt. In wenigen Stunden wird die Rache einer Fledermaus für Turbulenzen auf der Volksopernbühne sorgen. Eine ganz andere Beziehungsgeschichte.

Blaubarts Geheimnis in der Choreografie von Stephan Thoss mit Musik von Henryk Górecki und Philip Glass (Premiere: 15. 12.; Volksoper).

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