Christiane von Poelnitz: Orpheus hat Angst vor Mädchen

Christiane Poelnitz Orpheus Angst
Christiane Poelnitz Orpheus Angst(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Im Akademietheater spielt Christiane von Poelnitz demnächst Facetten von Eurydike. Ein Gespräch über Nymphen, Jelineks Schuhe und die ungeheure Kraft nach einer Vorstellung.

In Elfriede Jelineks neuem Stück „Schatten (Eurydike sagt)“, das der Burgtheaterdirektor persönlich inszeniert, spielen Sie eine von sieben Eurydikes. Was ist Ihr Part in der Persönlichkeit der Frau des Orpheus, die sich bereits in der Unterwelt befindet?

Christiane von Poelnitz: Matthias Hartmann hat mir die Fans des Sängers Orpheus zugeteilt, das sind junge Mädchen – die Kreischenden.

Eine Herausforderung, allein wegen der Vulgarität dieser Passagen. Würden Sie sich selbst so frauenfeindlich ausdrücken?

Nein! Dieses Erregen über die Jugend gehört nicht zu meinen Präferenzen, auch nicht das Derbe. An viele Ausdrücke habe ich mich nun gewöhnt, aber das war anfangs nicht leicht. Die Texte kann ich nur lernen, wenn meine Kinder nicht da sind. Die Kreischenden, das sind die Mänaden, die ihre Opfer verschlingen, die Bissguren. Das bezieht sich auch auf die Biografie des Rolling Stone Keith Richards. Er gibt darin zu, dass er Angst vor solchen Mädchen hat. Jelineks Eurydike hingegen, ein Sehnsuchtsobjekt, die geisterhafte Baumnymphe, ist permanent von Angst beherrscht. Man könnte ihr auch Schadenfreude unterstellen, weil in diesem Fall auch der Sänger Angst hat, die Angst vor den Mädchen ist seine einzige. Er ist deren Objekt der Begierde, dadurch wird er entpersonalisiert.

Fühlen Sie sich bei diesem Frauenbild mit seinen Zwängen, bloß Objekt zu sein, wohl?

Ich habe ein anderes Frauenbild als Jelinek, versuche es zwar nachzuvollziehen und der Autorin gerecht zu werden, aber das ist nicht meine Lebenseinstellung. Ich bin nicht unbedingt eine Feministin, sondern gern Frau und möchte nicht ständig darunter leiden, dass Frauen defizitäre Mitglieder der Gesellschaft sein sollen. Ich finde, ich habe es ganz gut erwischt.

Wie kommen Sie mit diesen völlig unterschiedlichen Sprachebenen zurecht, die vom Überhöhten bis zum absolut Profanen reichen und blitzartig changieren?

Wenn man dem Wort folgt, stellt man sich diese Frage nicht. Die Figur wird durch das Wort geschaffen. Eurydike und Orpheus sind Projektionsflächen. Sie ist der Schatten, er entäußert sich über das Singen. Das Männerbild ist einerseits realistisch, aber als Popstar ist er eben auch nur Projektion. Eurydike wiederum begreift, dass ihr Schattendasein ihr wahres Sein ist. Ihr innerer Zustand entspricht völlig ihrem äußeren. Ich finde es lustig, dass Orpheus versucht, mit dem Handy einen Schatten zu fotografieren. Ohne diese Komik wäre das Ganze nur eine Betroffenheitskiste, die hielte man nicht aus.

Wie lautet Ihre Inhaltsangabe zum Stück?

Es geht darum, dass Eurydike anfängt zu reden – und nicht mehr aufhört. Die Mythologie ist bekannt, aus den „Metamorphosen“. Mich wundert, dass sich Jelinek nicht auf die andere Quelle gestürzt hat, in der Eurydike bei der Flucht vor einer Vergewaltigung auf die Schlange tritt, an deren Biss sie stirbt.

Jelinek gibt am Ende Literaturempfehlungen, unter anderem absolut alles von Freud. Haben Sie sich an diese Tipps gehalten?

Ich hatte genug damit zu tun. Unsere Dramaturgin hat das Wesentliche herausgefiltert. Jelinek ist aber nach meinem Dafürhalten nicht an Besserwisserischem interessiert, sie spielt mit diesen anderen Texten.

Woran halten Sie sich in dem Gespinst fest?

Mich fasziniert am meisten, wenn sie über Mode schreibt, über das Verhüllen und Verstecken hinter Kleidern. Das ist reizvoll, da kennt sie sich sehr gut aus. Mein Lieblingstext von Jelinek handelt von ihrer Schuhsammlung.

Sie sind nun im neunten Jahr in Wien am Burgtheater. Was reizt Sie an dieser Stadt? Was erwarten Sie sich künftig hier?

Ich fühle mich wie auf bezahltem Urlaub. Es ist auch leichter, sich in der Fremde zu Hause zu fühlen. Da bleibt man Gast, und ist nicht verpflichtet, heimisch zu sein. Die Erwartungen: Ich will meine zwei wunderbaren Töchter gut begleiten. Für mich sind Freundlichkeit, Höflichkeit, Dankbarkeit und Bescheidenheit die wichtigsten Eigenschaften, um durchs Leben zu gehen.

Was ist mit dem Ehrgeiz auf der Bühne?

Die Ambitionen überlasse ich denen, die das besser können. Ich bin Schauspielerin geworden, weil mir das Freude macht. Ich lache gern, treibe gern Unsinn. Und ich liebe es, Worten Leben einzuhauchen, wie derzeit zum Beispiel in Hofmannsthals „Elektra“. An diesem Text musste ich wahnsinnig lange arbeiten. Das ist eine ganz andere Welt als die von Jelinek. Aber für beide ist die Form immens wichtig. Ich mag außerdem den Blankvers.

Was machen Sie, wenn Sie nicht auf der Bühne stehen?

Ich habe keinen Fernseher, weil ich diese Konsumierbarkeit nicht mag. Ich habe zwar schon im „Tatort“ mitgespielt, das schaue ich mir aber nicht an, weil ich mich bei Krimis fürchte. Ich bin eine Zeitungsleserin. Und zur Entspannung nehme ich leichtere Lektüre, sonst würde etwa die derzeitige für die Bühne alles einfärben. Literatur ist für mich wichtig, relativiert eigenen Lebensschmerz und hilft durch Krisen. Meistens aber freue ich mich, dass es den Kindern gut geht. Viele unserer Sorgen betrachte ich als Luxussorgen.

Sehen Ihre Kinder Sie auf der Bühne?

Selten. An sich versuche ich, Privates vom Beruflichen zu trennen. Meine Töchter behaupten, ich mache im Theater ernste Sachen für Erwachsene.

Auf der Bühne können Sie tatsächlich Furcht einflößen. Gelingt Ihnen das auch sonst?

Klar kann ich sauer werden. Einmal hat mir jemand die Handtasche wegnehmen wollen. Sein Pech: Ich kam von einer Vorstellung. Da habe ich immense körperliche Kraft. Ich wurde richtig wütend, habe ihn in die Flucht geschlagen. Aber an sich will ich, dass es in meinem Leben heiter zugeht.

Steckbrief

Christiane v. Poelnitz
wurde am 17. März 1971 in Münchberg in Oberfranken geboren. Sie studierte in Berlin an der Hochschule der Künste. Es folgten Engagements in Köln und Hamburg, ehe sie 2004 ans Burgtheater kam. Dort debütierte sie als Prinzessin Eboli in Andrea Breths Inszenierung von „Don Carlos“, sie gehört seither zu den Spitzenkräften des Ensembles. Von Poelnitz wurde bereits viermal für einen Nestroy-Preis nominiert.

Am 17. Jänner ist im Akademietheater in Wien die Premiere von Elfriede Jelineks „Schatten (Eurydike sagt)“. Bei dieser Erstaufführung der Theaterfassung führt Burgtheaterdirektor Matthias Hartmann Regie. (19.30 Uhr)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.01.2013)

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