Ibsens „Wildente“, radikal und gut aktualisiert

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Der Australier Simon Stone zeigt „Wild Duck“, ein rasantes Patchworkdrama. Die Familie sitzt in einem Glaskasten, der jederzeit zerstört werden kann, von außen wie von innen. Großartig ist das Ensemble.

An Klassikern gibt es doch nichts mehr zu zertrümmern. So dachten wir. Ein Irrtum. Der 28-jährige Australier Simon Stone schreibt Ibsens „Wildente“ komplett neu: „The Wild Duck“ hatte Samstagabend im Museumsquartier Premiere: sehenswert. Ibsen zeichnete 1884 die Brutalität des Industriezeitalters bzw. des damaligen Wirtschaftsliberalismus sowie gesellschaftliche Umwälzungen im Privaten. Das Stück ist nicht auffällig politisch, aber es stellt Gewinner und Verlierer der Situation einander gegenüber, zeigt Lebenslügen und wie sich die Taten der Eltern an den Kindern rächen.

Dass der lebensuntüchtige Hjalmar Ekdal ein Fotoatelier betreibt, ist kein Zufall. Ibsen weist damit auf die umfassende Retuschierung, Wegretuschierung der Wahrheit in der Gesellschaft des 19. Jahrhunderts hin.

Stone hält nichts von solchem Symbolismus. Das Handlungsgerüst des Stückes hat er beibehalten, den Text modernisiert. Gregers Werle kommt nach Jahren aus dem Ausland heim. Sein Vater, der die Mutter mit seinen Liebschaften in den Selbstmord getrieben hat, ist gerade dabei sich, mit seiner 28-jährigen Sekretärin zu verheiraten. Als seine letzte Amour, Haushälterin Gina, schwanger wurde, hatte er sie dem Taugenichts Hjalmar unterschoben. Werle senior hat mit Hjalmars Vater ein Wirtschaftsimperium aufgebaut – jedoch die Schuld an einem illegalen Geschäft (Wald, Rohstoffe) auf diesen abgeladen. Der alte Ekdal wanderte ins Gefängnis, inzwischen ist er wieder frei, aber der gute Ruf ist dahin. Werle senior beschäftigt den Alten als Schreiber. Die illegitime Tochter Hedvig wächst bei Hjalmar und Gina auf. Sie ist ein aufmüpfiger Teenager mit Computer und erster Sexerfahrung. Sie weiß alles besser, ist hoch begabt, aber dabei, wie ihr leiblicher Vater blind zu werden.

Gezerre ums Kind, Waffennarren

Als Hjalmar die Wahrheit über Hedvigs Herkunft erfährt, stößt er sie brutal von sich. Die Ehekrise zwischen Hjalmar und Gina erinnert an heutige Trennungsdramen, bei denen die Kinder am meisten leiden. Ekdal senior hat Hedwig das Schießen beigebracht. In den Szenen mit Waffen versteht man die vielen Europäern seltsam erscheinende Leidenschaft der Amerikaner oder Australier für das eigene Gewehr im Schrank: Es ist wohl eine Mischung aus Streben nach Autonomie, Selbstverteidigung und Romantik. Gregers Werle ist anders als bei Ibsen kein moralischer Eiferer, er nimmt Rache an seinem Vater für den Freitod der Mutter. Dabei ist auch Gregers ein Lump. Er verließ die Frau, die er liebte, als sie schwanger wurde – aus Bindungsangst. Das Kind wurde abgetrieben. Hjalmar ist der typische Loser. Er schwadroniert, macht immer alle anderen für sein Elend verantwortlich. Dabei ist er ein guter Vater, zumindest so lange er die Wahrheit über Hedvig nicht kennt. Gina hält die Familie zusammen, sie ist entschlossen, ihre Liebe zum alten Werle lebenslang zu büßen, doch Gregers macht alles kaputt.

In einem Glaskasten auf grauem Boden ohne Dekor rollt die Geschichte in 75 Minuten ohne Pause derart rasant ab, dass der Zuschauer trotz Übersetzungsanlage wie ein Haftlmacher aufpassen muss, dass er nichts versäumt. Das ist der einzige Einwand gegen diese Aufführung: Wie weit kann das Tempo hochgedreht werden, ohne dass die Verständlichkeit leidet? Nicht mehr weit. Besonders hübsch ist die englische Laufente, ein geduldiges Tier, gehätschelt und beneidet. Nach kurzer Zeit hat man glatt vergessen, wie stark das Stück umgeschrieben wurde. Ibsens Text ist großartig, aber Stones Text ist zeitgemäßer. Was will man mehr?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.05.2013)

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