Johanna – eine Heilige oder eine Hexe?

Johanna ndash eine Heilige
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Am Sonntag hat bei den Salzburger Festspielen "Die Jungfrau von Orleans" Premiere. Konnte Schiller den Ruf der Jeanne d'Arc retten? Oder behält doch der Skeptiker Voltaire recht? Ein literarisch-historischer Streifzug.

Ein Bauernmädchen hat Visionen. Der Hundertjährige Krieg geht in Frankreich bereits ins 87. Jahr, da befehlen 1424 die Heiligen Michael, Katharina und Margaret der zwölfjährigen Jeanne d'Arc auf einem Feld in Lothringen, die englischen Besatzer aus dem Land zu treiben und den Dauphin nach Reims zu bringen, damit er dort zum König gekrönt werde. Man wollte sie erst ignorieren, doch sie griff zum Schwert, suchte die Konfrontation.

Das Thema war in der Region nicht neu. Sagen prophezeiten, dass eine Jungfrau die Fremdherrschaft beenden werde. Und im 15. Jahrhundert gab es in Frankreich Frühformen von Nationalgefühl, just als das Land nach den großen Pestepidemien „am Abgrund“ stand, wie die Tradition später sagte.

Johanna wird jahrelang von Stimmen heimgesucht. Das Magische daran: Die junge Frau, die zu Hause bei ihren Eltern mit Spinnen und Sticken beschäftigt war, bricht 1429 tatsächlich auf, um ihre Mission zu erfüllen. Sie überzeugt den Dauphin in seinem Quartier in Chinon, sie an der Spitze eines Entsatzheeres nach Orléans zu schicken.

An diesem strategischen Punkt an der Loire stehen die belagernden Engländer vor einem wichtigen Sieg. Fällt Orléans, dann liegt das Kernland für die Eroberer, die im Bündnis mit Burgund bereits den Norden des Landes kontrollieren, offen da. Die Engländer erheben seit Edward III., seit hundert Jahren, Ansprüche auch auf den Thron von Frankreich. Nun machen sie wieder einmal Ernst. Da aber kommt Jeanne, die Blitzkriegerin, der Terror ihrer Feinde. Innerhalb von neun Tagen befreien die Truppen der Jungfrau die Stadt Orléans, im Juli wird Karl VII. in Reims zum König gekrönt.

Prozess, Revision, späte Heiligsprechung

Es folgen weitere siegreiche Schlachten, Johannas Familie wird geadelt, doch die profane Geschichte geht für sie persönlich erst einmal böse aus. Im Mai 1430 wird sie gefangen genommen, an die Engländer ausgeliefert, ein Jahr später in Rouen nach einem Prozess wegen Ketzerei verbrannt. Peinlich für die Kirche: Nachdem die Geistlichkeit den Engländern zu Diensten war, kam es, als der politische Wind sich mit dem Ende des Krieges drehte, zu einem Revisionsprozess. Noch einmal wurden Zeugen gehört, dann erklärte man Jeanne, oh Wunder!, 1456 zur Märtyrerin. Seither gehört sie zur nationalen Identität. Anfang des so weltlichen 20. Jahrhunderts, in dem sich die katholische Kirche längst im Rückzugsgefecht befand, wurde die Jungfrau erst von Pius X. selig-, dann von Benedikt XV. heiliggesprochen.

Was soll man von dieser kriegerischen Johanna halten, die erfolgreich in die Offensive ging, als all die Strategen und Diplomaten um sie herum zögerten? Intervenierten damals wirklich die himmlischen Mächte? Oder war die Retterin Frankreichs nur ein Idealbild? War die Geschichte bloß Humbug? Zu kaum einer Figur des späten Mittelalters gibt es so viele Quellen, bis hin zu den Prozessakten. Rasch wurde Johanna von Orléans nach ihrem Tod zum Mythos. Wie different man sie interpretieren kann, zeigen auch ganz Große der Literatur, sogar in der Moderne, mit Shaw, Claudel, Brecht, Bernanos oder Anouilh. Prosa und Verse, Dramen, Drehbücher und Libretti – der Stoff wurde wirklich erschöpfend variiert.

Im ersten Teil von Shakespeares Drama „Henry VI.“ (circa 1593) bettelt Joan of Arc um ihr Leben, bevor sie auf dem Scheiterhaufen verbrannt wird. Sie sei noch Jungfrau sagt sie, um dann überraschend zu behaupten, sie sei schwanger. Am Ende verdammt sie ganz England. Ihre Rolle ist also aus Londons höchst patriotischer und propagandistischer Retrospektive durchaus dubios.

Die ganze Spannweite der Interpretation sieht man besonders ausgeprägt in der Aufklärung. Voltaire hat 1730 ein heroisch-komisches Versepos verfasst, das Johanna mit aller Kunst der Satire verhöhnt. „La Pucelle d'Orléans“ (1762 gedruckt) verspottet in 21Gesängen eine gar nicht mehr heroische Zeit mit geilen Hofschranzen und einer simplen Herbergsmagd, Tochter eines Pfarrers, die es mit ihrer Jungfräulichkeit nicht so genau nimmt. Voltaire greift mit seiner Karikatur den Wunderglauben und die katholische Fixierung auf Jungfräulichkeit scharf an. Stendhal hat es geschätzt, so wie Johann Wolfgang Goethe. Dessen Freund Friedrich Schiller aber hat nicht zuletzt diese Bloßstellung menschlicher Schwächen zu einer Rettung der Ehre Johannas provoziert. Er schrieb das Gedicht „Das Mädchen von Orléans“ und eine romantische Tragödie.

„Hinauf – hinauf – Die Erde flieht zurück“

„Die Jungfrau von Orléans“, 1801 in Leipzig uraufgeführt, treibt die Idealisierung auf die Spitze und hält sich nur in der „allgemeinen Situation“ an die Geschichte. Bei Schiller endet Johanna nicht auf dem Scheiterhaufen, sondern erlebt nach tödlicher Verwundung im Kampf eine Apotheose, den Triumph des Scheins. Das himmlische Reich vor Augen, das Himmelstor offen, spricht sie berühmte letzte Worte: „Hinauf – hinauf – Die Erde flieht zurück – Kurz ist der Schmerz und ewig ist die Freude!“ Bei Schiller erfährt dieses Mädchen die Welt anfangs als Träumende, um sich dann im Kampf zu einem „Phantom des Schreckens“ (Talbot) zu entwickeln. Beinahe zerbricht sie an dem Konflikt zwischen Pflicht und Neigung, zwischen menschlicher Liebe und ihrem Auftrag.

Schillers Hohelied der Opferbereitschaft verleitete sowohl zu patriotischen Interpretationen als auch zur Parodie. Man sollte aber seine psychologische Raffinesse nicht unterschätzen, er ist kein simpler Träumer, sondern ein an Kants Kritiken geschulter Geist, der sich hier dem Irrationalen nähert.

Wer aber war Johanna wirklich? Ihr Zeitgenosse, der Humanist Enea Silvio Piccolomini (Papst Pius II.), sah in ihr „ein bewundernswertes und erstaunliches Mädchen“. Nie habe man etwas Unrühmliches über sie vernommen. Ihr Handeln bewertet er so: „Ob es Gottes- oder Menschenwerk war, ist schwer zu entscheiden.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.07.2013)

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