"Salome" an der Staatsoper: Die überwältigende Schönheit der Perversion

Andris Nelson
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In Vorbereitung des New-York-Gastspiels demonstriert das Orchester unter Andris Nelsons Richard-Strauss-Kompetenz und legt Darstellern wie Gun-Brit Barkmin und Falk Struckmann den schillerndsten Klangteppich.

Die Musik von Richard Strauss gehört zum wienerischen Klang-Selbstverständnis. Zwar sind nur zwei der Opern, die bekannte Zweitfassung der „Ariadne auf Naxos“ (1916) und die „Frau ohne Schatten“ (1919) an der Hof- bzw. Staatsoper uraufgeführt worden. Doch zählt Strauss zu jenen Meistern, die quasi in der Muttersprache des philharmonischen Wiener Orchesters komponiert haben.

Ein Dirigent, der sich dessen bewusst ist, kann, wenn er sein Handwerk beherrscht, in diesem Repertoire daher reiche Ernte halten. Andris Nelsons, einer der großen Animatoren unter den jüngeren Pult-Virtuosen, hat begriffen, worum es geht. Er vermittelt ab dem Auftakt zum berühmten Klarinettenlauf, der die „Salome“ eröffnet, keinen Moment lang das Gefühl, hier als Gestalter etwas ganz Bestimmtes erreichen zu wollen.

Unwegsames Gelände. Vielmehr führt er, weil er die Partitur offenkundig in- und auswendig kennt, Ensemble wie Musiker kundig durchs teils unwegsam-polyphone Gelände. Wie die vielen Miniatur-Soli und von kleinen Instrumentalgruppen modellierten illustrativen Details idiomatisch richtig zu formulieren sind, wissen die Spieler freilich selbst – da genügt ein kurzer Blick oder ein prägnanter Fingerzeig im rechten Moment.

Sogar einige wienerische Aperçus, die gar nicht in den Noten stehen, trägt Nelsons willig mit – das sichert ihm die philharmonische Sympathie; und das sichere Gefühl, dass sich die großen Steigerungen, auf die es bei Strauss zuletzt ja doch ankommt, aufs natürlichste entfalten. Die Wirkung ist überwältigend – und man darf stolz sein, dass anlässlich der Wien-Präsentation in New York auch diese „Salome“ mit von der Partie sein wird.

Wenn auch nur konzertant, was im Falle des glänzend disponierten Predigers Jochanaan von Falk Struckmann sicher keine Abstriche bedeutet, für die Titelheldin aber ein Manko darstellt. Gun-Brit Barkmin, wie Struckmann eine Wiener Rollen-Debütantin, ist eine Salome von filmreifem Format. Vokal mögen dem Sopran in den ekstatischen Augenblicken die Möglichkeiten zur vollen Blüte fehlen, doch was die Künstlerin in Sachen Wortdeutlichkeit und subtil differenzierter Gestaltung vom Flüsterton bis zum trotzigen Schrei leistet, liefert das Charakterbild eines verzogenen Fratzen, wie's im Oscar Wilde'schen Büchel steht.
Eine nicht minder kapriziös selbstsüchtige Mutter hat man in Iris Vermillion gefunden. Zumindest in den kleineren Partien reüssiert das Wiener Ensemble neben den bühnenbeherrschenden Gästen meist glänzend. Der Besetzungszettel nennt (erstmals) Herwig Pecoraro als Herodes. Dagegen ist Carlos Osunas lyrischer Tenor als Narraboth schon bewährt. Ulrike Helzel als Page lässt mit herbfrischen Tönen aufhorchen, das Judenquintett wird von Norbert Ernst prägnant angeführt.

Und dass eine Edelstimme wie Adam Plachetka den Ersten Nazarener singt, erinnert an Hochzeiten heimischer Opernkultur. Dergleichen darf, ja soll man getrost exportieren; auch ohne die nach wie vor stimmungsvollen Kulissen Jürgen Roses zu Boleslaw Barlogs Inszenierung von 1972 ...

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.02.2014)

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