Karin Bergmann (60) hat vieles hinter sich, aber noch mehr vor sich: politische Schlagwetter, die Pflege eines Schatzes, der Schauspieler.
So sieht eine Lösung aus, die allen frommt: Der Kulturminister beruft die erste Frau in der Burg-Geschichte auf den Chefsessel. Das Ensemble applaudiert. Die Gekürte schaut streng wie immer, aber auch ganz glücklich aus. Dass im Burgtheater nun Karin Bergmann (60) amtiert, im Volkstheater ab 2015 Anna Badora (62) die Nachfolge von Michael Schottenberg antritt, zeigt, dass Frauen länger brauchen, was nicht unbedingt mit der Qualifikation zu tun hat, sondern mit der viel zitierten „gläsernen Decke“, die schwer zu durchbrechen ist. Bergmann wie Badora haben bewiesen, dass sie firm sind, im Management wie in der Kunst.
Dass Bergmann als Pressesprecherin begonnen hat, zeigt, wie wichtig öffentliche Resonanz ist. Bilder von Institutionen, das gilt auch für Banken, Versicherungen, sind heute wichtiger als die Realität. Hinter den Kulissen: aufgeregte Mimen. Davor: Gelassenheit. So wird das jetzt wieder sein. Hoffentlich. Dank Bergmann. Die ehrgeizige Tochter einer Bergarbeiterfamilie aus Recklinghausen im Ruhrgebiet sah die Burg schon durch viele Wasser schwimmen, die turbulenten Peymann-Jahre, die etwas ruhigeren Bachler-Jahre, 2008 regierte sie, bereits Vizedirektorin, allein, als Bachler schon in München war.
Wettbewerb der Schauspielhäuser
Bergmann, der Name könnte als Programm genommen werden. Sie wird mehr tragen müssen als die „1,20-Meter-Garderobe mit zehn Haken“ als die sie sich bei ihrer Vorstellung bezeichnete. Im Burg-Bergwerk muss unter möglichst geringen Einbußen bei der Produktivität viel Schutt, das fette Defizit, abgetragen werden. Wertvolle Bodenschätze, die Schauspieler, sollten unversehrt bleiben. Politischen Schlagwettern ist auszuweichen. Der Burg-Chef, das ist oft ein großmäuliger Narziss, ein Taschenspieler, Tyrann, manchmal gar ein Leuteschinder, der als Regisseur glaubt, seine Mimen mit Gewalt zu Höchstleistungen antreiben zu müssen. Bergmann hat fürs Erste einmal nichts von alledem. Man kennt sie als vernünftig, ruhig, eloquent, hartnäckig, der Sache dienend statt dem eigenen Ego, fleißig – und doch von großer Leidenschaft für die Kunst beseelt.
Das gilt in gewisser Weise auch für Bergmanns 72-jährigen Helfer Hermann Beil. Beide kennen aus den Stürmen der Peymann-Zeit nicht nur die Burg, sondern auch ihr Publikum, und zwar von vielen heftigen öffentlichen Veranstaltungen, bei denen es meist ums Theater, öfter auch um den „bösen“ Direktor ging. Die Burg ist viel besser ausgelastet als deutsche Schauspielhäuser. Dieses Publikum zu halten, darum wird es jetzt gehen. Gelingt das, wäre gegen eine längere „Bergmannschaft“ in der Burg wenig einzuwenden. Bis 2016 hat Bergmann nun Zeit, außer zu sanieren, auch Ideen zu zeigen.
Klassisches Schauspiel und Performance wachsen immer mehr zusammen, das zeigt die Berufung von Matthias Lilienthal, der zuletzt das experimentelle „Hau“ (Hebbel am Ufer) in Berlin führte, zum Direktor der Münchner Kammerspiele, eines kleinen, aber von Dieter Dorn Jahrzehnte traditionell (und toll) geführten Hauses – dessen Programm von Frank Baumbauer und Johan Simons radikal umgestaltet wurde. In den scharfen Wettbewerb deutschsprachiger Bühnen, den sie früher aus der zweiten Reihe verfolgen konnte, tritt nun auch Bergmann ein. Sie wird sich nicht mehr damit begnügen können zu hegen, zu pflegen, zu raten, sie wird sich durchsetzen, Fantasie, künstlerische Power zeigen müssen. (bp)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.03.2014)