„Bei vielen Gelegenheiten überaus bequem und allemal gerecht“

Die Jesuiten erlaubten die Zwecklüge, Luther die Notlüge.

„Euer Ja sei ein Ja, euer Nein sei ein Nein; was darüber hinausgeht, ist vom Bösen“, sagt Jesus (Mt 5,37), von erlaubten Notlügen ist im Neuen Testament keine Rede. Die Kirchenväter erklärten die Lüge unter gewissen Umständen für erlaubt, auch Augustinus hält Notlügen für entschuldbar, betont aber, dass es sich trotzdem um eine Sünde handle. Thomas von Aquin übernimmt diese Strenge. Erlaubt ist aber, einen Teil der Wahrheit zu verschweigen. Auch Kant hält die Lüge eo ipso für unsittlich, also auch in Ausnahmefällen für unerlaubt. „Die Lüge ist an sich etwas Nichtswürdiges, sie mag gute oder böse Absichten haben.“

Zur Erhaltung von Ehre und Vermögen

Kant richtete sich damit nicht zuletzt gegen die Jesuiten, die lügen würden, „um Gutes zu stiften“. Sie behalfen sich mit der „reservatio mentalis“ (innerer Vorbehalt) und der „aequivocatio“ (Zweideutigkeit). So schreibt der Jesuit Thomas Sanchez im 16. Jahrhundert: „Es ist erlaubt, zweideutige Ausdrücke zu gebrauchen, und sie anders verstehen zu lassen, als man sie selbst versteht. Man kann schwören, etwas nicht getan zu haben, was man doch wirklich getan hat, wenn man nur dabei denkt, dass man es nicht an diesem oder jenem Tage, oder nicht vor seiner Geburt getan habe. Das ist bei vielen Gelegenheiten überaus bequem, und allemal gerecht, wenn es zur Erhaltung der Gesundheit, der Ehre oder des Vermögens nötig ist.“ Martin Luther erklärte zunächst die Nutz- oder Notlüge „für das Heil oder den Nutzen der eigenen Person oder eines anderen“ für erlaubt, aber nur dann, wenn einem anderen daraus kein Schaden entstehe.

Später tritt der eigene Nutzen und das eigene Heil als Rechtfertigungsgrund zurück, und Luther erklärt nur noch jene Lüge für legitim, die um der Nächstenliebe willen geschieht. In diesem Fall könne sie sogar geboten sein, wenn sie Schaden vom Mitmenschen abwende. Luther spricht in diesem Zusammenhang von „ehrbarer und frommer Lüge“, von „Liebespflicht“ und „glücklicher Täuschung“. sim

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.03.2008)

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