Kunsthalle Wien: Punk bricht, muss brechen

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„No One Is Innocent“ zeigt Punk als letzten radikalen Umbruch der Popkultur. Mit Objekten und Subjekten aus drei Städten: Berlin, London, New York.

Als ob Punk nie passiert wäre („as if punk never happened“) – so beschreibt man bis heute Rockmusik, die blauäugig und rotwangig, naiv und unreflektiert, schlicht und dumm ist. Zurecht: Denn mit der Punk-Revolte hat der Pop endgültig seine Unschuld verloren; seit 1976 sind paradiesische Naturburschen-Attitüden prinzipiell als Posen zu lesen; die Ironie, vor allem die Selbstironie, lauert überall. Und jeder Rock'n'Roll-Aufruhr ist im Keim ein „Rock'n'Roll Swindle“.

Darum ist „No One Is Innocent“ (der Titel der fünften Single der Sex Pistols, die ihr Manager Malcolm McLaren dazu nötigte, sich selbst unter dem Titel „Rock'n'Roll Swindle“ zu demontieren) ein sehr guter Titel für eine Ausstellung, die Punk mindestens genauso als Geisteshaltung wie als Mode- und Musikrichtung sieht. Und vor allem als Bruch, der nicht wieder zu kitten ist.

Selbstironie und Herzblut

Apropos brechen: „Wenn Sie etwas Schlechtes schreiben, brechen Sie mir das Herz“, sagte Kurator Thomas Mießgang zu den Journalisten, „es ist die wichtigste Ausstellung meines Lebens“. Was gleich ein schönes Beispiel für Selbstironie ist, die das (echte) Herzblut kaum verbergen kann: Denn natürlich ist für Mießgang, Jahrgang 1955, Punk der wichtigste kulturelle Einschnitt seines Lebens. Wie für alle vor, sagen wir, 1967 geborenen Menschen, denen Popkultur nicht völlig egal ist.

Eine wichtige und gewichtige Ausstellung also, eine notwendig ausufernde und zerrissene Ausstellung, und man muss Mießgangs Herz nicht absichtlich schonen, um zu sagen: Sie ist gelungen. Schon weil sie völlig unkulinarisch ist, weil sie darauf verzichtet, dem sentimentalen Besucher das Riff von z.B. „Anarchy In The U.K.“ oder „White Riot“ effektiv in die Ohren zu knallen.

Ungesund und zerbrechlich

Die Ausstellung „No One Is Innocent“ klingt nicht knallig und gut, sondern dünn und brüchig. Sie sieht auch nicht gut aus. So wie die in einer Vitrine musealisierten Exemplare des frühen britischen Punk-Fanzine „Sniffin' Glue“: Sie sind schlecht gedruckt, sie sind nicht einmal gedruckt, sondern fotokopiert, eilig geheftet. Keine Zeit!

„Life is too short / still we make a show / we are unhealthy and fragile“, steht auf einem Blatt der Liverpooler Punk-Artistin Linder. Das mag an das „Live fast, love hard, die young“ der Hippies erinnern, es fehlt ihm aber das Triumphale, die Naivität, eben die Unschuld. Wobei just die Punk-Inszenierungen heute überholt sind, die allzu betont mit dem Verlust der Unschuld kokettierten. Lydia Lunch z.B., auf einem Poster mit Spinne und Kruzifix zu sehen, mag damals toute New York in ihren sinistren Bann gezogen haben, heute wirkt sie ziemlich lächerlich. (Im Gegensatz übrigens zu Patti Smith, die auf den Fotos von Robert Mapplethorpe unfassbar ikonisch aussieht.)

Sicherheitsnadel und Wellblech

Verblasst ist auch das Design, das Arturo Vega – dem es ansonsten gefallen hat, bunte Hakenkreuze zu drapieren, so billig gaben es Punk-Künstler kaum je – der programmatisch dumpfen amerikanischen Punk-Band „Ramones“ entwarf: Deren Wappen erinnern heute eher an Heavy-Metal-Bands, wie sie wohl im Wiener „Planet Music“ (bzw. leider bald in der „Szene Wien“) auftreten und die man gnädig mit „as if punk never happened“ beschreibt.

Sonst ist es faszinierend, wie viel von der Punk-Ästhetik geblieben ist. Schon die Figuren in der Diashow am Anfang könnten (beinahe) in jeder heutigen Fußgängerzone leben. Die vermischten Lettern (à la Erpresserbrief), die James Reid den Sex Pistols verschrieb, gehören heute zum Repertoire aller besseren Art-Direktoren. Die Sicherheitsnadeln (die sich anfangs niemand wirklich durchs Fleisch stach, Kunststudenten scheuen den Schmerz). Oder das T-Shirt mit darauf gemaltem Busen, feilgeboten von der „Sex“-Boutique Vivienne Westwoods. Heute sieht man dergleichen in jedem Bierzelt, doch damals war das neu! Wie der Stil der Fotos, die Jon Savage 1977 in North Kensington schoss (dem Londoner Stadtteil, aus dem „The Clash“ kamen): das Wellblech, die Graffiti, die U-Bahn-Bögen, alles grau in grau, fortan wusste man, wie die Vorstadt aussieht und auszusehen hat.

Besonders natürlich in Westberlin, der Stadt, die nur Vorstadt (+ „Kaufhaus des Westens“) war. Die Ausstellung konzentriert sich auf drei sozusagen mustergültig babylonische Städte: Berlin, New York, London. Dass und wie auch in Wien der Punk ausgebrochen ist, beschreibt im Halbstock das „Wiener Punkarchiv“ in Kooperation mit dem Gymnasium in der Rahlgasse. Da sollte und wird man noch mehr sammeln.

Der Schnellzug nach Berlin

Aber es stimmt schon: „Das schönste an Wien ist der Schnellzug nach Berlin“, hieß es damals nicht ganz zu Unrecht. In der Kunsthalle sieht man also u.a. ein Bühnenbild der Einstürzenden Neubauten (inkl. Einkaufswagen und viel Blech), die damals noch akut waren. Aber auch frühe Werke von Martin Kippenberger, Kluges von den Polyartisten „Die tödliche Doris“, Verstörendes vom Maler Salomé, der nebenbei mit seiner Band „Geile Tiere“ (deren Titelstück „Alle sind sie geile Tiere“ im Wiener U4 allnächtlich lief) halbnackt auftrat. „Rote Liebe“ (1979) etwa: Auf rotem Bett liegt eine Person mit Augenbinde, in scheinbar verführerischer Pose, doch ihre Körperformen passen einfach in kein Schema, weder ein männliches noch ein weibliches, sind unbegreiflich.

Sie sind damit auch nicht verführerisch, nicht einsetzbar als Reizauslöser. Bei aller obsessiven Durchdringung mit sexuellen Motiven ist auch das typisch für die Punk-Ästhetik: Sie verweigert sich der direkten Sinnlichkeit, bleibt rational, kühl. Keine heiße Ware, nicht leicht verwertbar.

Und zerbrechlich.

ZUR AUSSTELLUNG

„No One Is Innocent“, benannt nach einem Song der Sex Pistols (auf dem der Posträuber Ronald Biggs sang), läuft in der Kunsthalle Wien (Museumsplatz 1) bis 7.September, tägl. 10 bis 19 Uhr. Diverse Vorträge, Info: www.kunsthallewien.at

Mit Kunstwerken von Derek Jarman, Genesis P-Orridge, Vivienne Westwood, Alan Vega, Arturo Vega, Martin Kippenberger, Robert Longo, Robert Mapplethorpe u.v.a.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.05.2008)

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