EntarteOpera: Till Eulenspiegels bittere Wahrheit

Martin Sieghart
Martin Sieghart (C) Webseite/ Robert Maibach
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Martin Sieghart will mit dem Linzer Festival EntarteOpera gegen die „geistige Trägheit unserer Zeit“ vorgehen. Heute, Mittwoch, steht Walter Braunfels' „Ulenspiegel“ auf dem Programm.

Martin Sieghart, Initiator und künstlerischer Motor von EntarteOpera, kann nach dem Einstand mit Franz Schrekers „Schatzgräber“ auch heuer wieder mit einer Opernrarität aus der Feder eines von der NS-Kulturpolitik verfemten Meisters in Linz aufwarten: Walter Braunfels' „Ulenspiegel“ (1913).

„Nach dem ersten Jahr unseres kleinen Festivals“, sagt er, „hieß die Frage, ob Subventionsgeber und Sponsoren wieder in die Taschen greifen würden, um eine Idee am Leben zu halten, die wichtig ist, naturgemäß aber nie einen Publikumsrun wie in Grafenegg oder Salzburg auslösen wird. Dennoch waren das mediale Echo und die ,gute Nachred‘ ausreichend, um ein Folgejahr zu sichern.“

Stücke, für die sich der Aufwand lohnt, gibt es in Fülle: „Wir sichteten Krenek, Gaal, Braunfels und andere, und irgendwie wurde es dann, auch aus pragmatischen Gründen der Besetzung, der ,Ulenspiegel‘.“ Premiere ist am 10. September in der Tabakfabrik Linz.

Wobei Sieghart auch gern erklärt, wer in diesem Fall mit dem Wort „wir“ gemeint ist: „Wir, das sind immer Susanne Thomasberger und ich, der sogenannte Vorstand, wissenschaftlich erweitert durch Volkmar Putz, diesen genialisch begabten Mathematiker, Physiker, vor allem aber unvergleichlichen Kenner der Werke jener Zeit.“

Die Geburt von EntarteOpera war so leicht nicht: „Zunächst war an eine Kooperation mit meiner Universität in Graz, der KUG, gedacht. Braunfels' Stück ist eine echte Choroper, dazu wimmelt es von kleinen Solopartien, ideal, um eine Universität damit zu betrauen. Diese zeigte sich allerdings nicht geneigt, einen noch so kleinen finanziellen Beitrag zu leisten. Also haben wir zwar dieselben Studenten engagiert, nur treten sie als EntarteOpera-Chor auf. Felix Austria!“

In Sachen Inszenierung stand das Projekt vor einem Problem, als der Regisseur ein Angebot erhielt, das er nicht ablehnen konnte. Sieghart: „Georg Schmidleitner hat mich im April mit der Einladung zu den Salzburger Festspielen konfrontiert. Ich sagte ihm, er solle den Vertrag zerreißen, ich würde es genauso machen, und wir würden Freunde bleiben. So übernahm Roland Schwab die Regie, hatte wenig Vorbereitungszeit, ruft mir aber jetzt bei den Proben, stets ohne Klavierauszug, zu: ,Bitte fang noch mal bei dem Des-Dur-Akkord an!‘“

Nicht nur Taugenichts

„Das Thema, der Krieg und die spanische Inquisition in den Niederlanden, ist ja nicht eben neu“, gesteht Sieghart. Doch geht es bei Braunfels um „den Wandel des Schalks Ulenspiegel vom frechen Taugenichts und Provokateur zum Anführer eines Aufstandes. Man hat seinen Vater auf dem Scheiterhaufen verbrannt, weil dieser den Unterschlupf des gesuchten Sohnes nicht freigeben wollte. Außerdem wirft sich seine Geliebte, Nele, in den Schuss, der auf Ulenspiegel gerichtet ist. Diese Auseinandersetzung mit Gewalt und Irrsinn ist leider durchaus aktuell.“

Und die Musik? „Es ist eine Oper! Damit meine ich, die Handlung wird ungeheuer stringent in Musik umgesetzt, es steht nie still. Die Chorszenen ideal geschrieben, der große Dialog Vater/Geliebte von großer Subtilität. Es ,Königmarkelt‘ vielleicht da und dort, Richard Strauss hat vorbeigeschaut, und ,Lache Bajazzo‘ ist auch keine schlechte Anleihe. Aber das soll um Gottes Willen die hohe Qualität dieser Oper nicht schmälern!“

Werner Steinmetz hat die Orchesterpartitur wieder für Kammerorchester arrangiert. „Großartig“, lobt der Maestro, „er hat es geschafft, dem originalen Klangbild, so weit es geht, nachzugehen und das auf 36 Musiker zu übertragen.“

EntarteOpera, Siegharts Beitrag gegen die „geistige Trägheit unserer Zeit“, wartet am 15. September noch mit dem Concerto funebre von Karl Amadeus Hartmann (mit Thomas A. Irnberger) auf. Außerdem liest Erika Pluhar (am 11.9.) bedrückende Texte aus der Zeit – dagegen steht Ernst Kreneks hintergründiges „Reisebuch aus den österreichischen Alpen“ mit Alexander Kaimbacher. Eine Ausstellung, von Marie-Theres Arnbom kuratiert, beschäftigt sich (bis 5.10., ebenfalls in der Tabakfabrik) mit der Unterhaltungsmusik im Dritten Reich. Studenten der Privatuniversität Wien haben dazu ein spezielles Konzert erarbeitet, das zum Finale des Festivals (18.9.) für Schulen wiederholt werden könnte: „Sehnsüchtig warten wir auf eine einzige, die sich anmeldet!“ Stell dir vor, sie machen ein Festival und alle würden erkennen, was sie dran haben . . .

ZUR PERSON

Martin Sieghart ist ein österreichischer Dirigent. Er studierte Cello, Klavier, Orgel und Dirigieren und war vier Jahre Solo-Cellist der Wiener Symphoniker. Als Chefdirigent leitete er das Stuttgarter Kammerorchester, das Bruckner Orchester Linz und die Linzer Oper. Sieghart war Intendant des Opernfestivals Mozart in Reinsberg, Chefdirigent des Arnhem Philharmonic Orchestra und künstlerischer Leiter des Kammerorchesters Spirit of Europe. Seit 2000 leitet er als Universitätsprofessor die Dirigentenausbildung in Graz. Als künstlerischer Leiter von EntarteOpera will er die Werke sogenannter entarteter Komponisten wieder auf die Bühne bringen. [ Robert Maybach]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.09.2014)

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