Ernesto Che Guevara: Wie Christus nach der Kreuzesabnahme

(c) AP (Natacha Pisarenko)
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Heute wäre der kubanische Revolutionär 80 Jahre alt. Über einen (verblassenden) Mythos.

Ernesto Guevara wäre heute 80 Jahre alt. Normalerweise beginnt eine Erinnerung an den kubanischen Revolutionär eher mit seinem Tod; mit jenem Herbsttag des Jahres 1967, als sein Leichnam in Bolivien der Öffentlichkeit präsentiert wurde – und schon damals das Wort die Runde machte: Wie er da so liege, im Waschhaus zwischen zwei toten Gefährten, sehe er aus wie Christus nach der Kreuzesabnahme ...

Und tatsächlich, frisch gewaschen, an Bart und Haaren gestutzt von seinen Mördern, dem bolivianischen Militär (die Amerikaner im Irak wussten es besser, als sie die Bilder vom dreckigen, zerlumpten Saddam Hussein um die Welt gehen ließen), kann man auch ohne revolutions-religiöse Inbrunst Ähnlichkeiten zwischen diesem schönen Gesicht und den Christus-Antlitzen auf Gemälden von Holbein d. J. oder Andrea Mantegna erkennen.

Ein junger Weißer aus gutem Haus

Nur noch kokettierende Reste dieser Verehrung finden sich heute im Westen – wo man höchstens ab und zu noch einen Star wie Johnny Depp oder Robin Williams mit dem meistreproduzierten Foto der Geschichte auf dem T-Shirt sehen kann (das Porträt von Alberto Korda, das Guevara mit obligater Baskenmütze und kämpferisch-sehnsüchtig in die Ferne gerichtetem Blick zeigt). Die Figur des kubanischen Revolutionärs scheint, trotz seiner Renaissance in Steven Soderberghs neuem Film „Che“, der heutigen jungen Generation im Westen so fern wie die Studentenrevolte von 1968 – die „El Che“ zu ihrem Leitbild machte, zu einem Vorbild für Antiamerikanismus, politische Radikalisierung, aber auch einer romantisierten Gewalt. Unterstützt wurde sie von Denkern wie Jean-Paul Sartre, der Che Guevara den „vollkommensten Menschen unserer Zeit“ nannte.

Liest man heute die 68er-Texte zu, aber auch die Schriften von Guevara, kann man die Faszination verstehen, selbst wenn man sie nicht teilt. „El Che“, von dem sein Biograf Stephan Lahrem schreibt, dass er bis weit in die 70er-Jahre hinein den Zeitgeist der BRD verkörperte, symbolisierte eine andere Art von Sozialismus und Kommunismus als die Funktionäre in der UDSSR oder DDR: Da war die jugendliche Militanz des Guerrillero, die verkörperte Einheit von Theorie und Praxis, dazu das umwerfende Äußere, die einfachen, stereotypenfreien, brutalen und auch wieder träumerischen Worte (Guevara liebte die Lyrik und schrieb selbst Gedichte); nicht zu vergessen die Herkunft – ein junger Weißer aus gutem Haus, studierter Mediziner, der mit dem normalen Leben bricht, um als Abenteurer und Revolutionär zu leben; schließlich die Todesumstände: Der Mann, der mit Fidel Castro die kubanische Revolution zum Sieg geführt hatte, verzichtet auf seinen Posten als Industrieminister und taucht unter, um wieder für die Unterdrückten zu kämpfen (erst im Kongo, dann in Bolivien) – bis er, beide Male erfolglos, am Ende quasi den Opfertod stirbt. Und zwar früh genug, um um als ewig jugendlicher Revolutionär im Gedächtnis zu bleiben und nicht an der Realisierung seiner Träume gemessen zu werden.

Oder vielleicht starb er doch nicht früh genug: Guevaras letzte Unternehmungen, nämlich die Versuche, seine Guerrillastrategie in andere Länder zu exportieren, scheiterten kläglich; davor schon hatten seine ökonomischen Vorstellungen selbst bei Sympathisanten Kopfschütteln geerntet.

Hartes Leben, bequeme Bewunderung

Schlimmer war, dass er die UDSSR nicht etwa wegen Stalins Massenmorden kritisierte, sondern nur, weil Chruschtschow die friedliche Koexistenz mit dem Land versuchte, das für Guevara der Antichrist war: den USA. Che selbst wollte notfalls auch einen Atomkrieg führen, selbst wenn dieser „Millionen Opfer“ erfordern würde.

Was trotz allem beeindruckend bleibt, ist der Charakter des Menschen Ernesto Guevara. Als Kind schwer asthmatisch (und ein Leben lang vom Inhalator begleitet), trotzte er dem Leiden mit unglaublicher Selbstdisziplin und Askese; seine Unbestechlichkeit war so radikal wie seine Ziele (als Industrieminister lehnte er jegliche Privilegien ab). Und für das, was er als die Befreiung der Armen und Unterdrückten ansah, war er bereit, jeden persönlichen Preis zu zahlen.

Paradoxerweise hat, wie auch der Guevara-Biograf Stephan Lahrem irritiert feststellt, gerade diese für den Normalmenschen unlebbare Radikalität „Che“ in so weite Ferne gerückt, dass es bequem wurde, ihn zu bewundern. Mit einem Bekenntnis zu ihm konnte man radikale Unangepasstheit demonstrieren – ohne fürchten zu müssen, jemals beim Wort genommen zu werden.

Zur person

Ernesto Guevara wurde am 14. Juni 1928 als Sohn zweier wohlhabender Eltern in Argentinien geboren.

Er studierte Medizin, ging dann aber aus Abenteuerlust auf Reisen und schloss sich in Guatemala den Revolutionären an.

In Mexiko wurde er mit dem Marxismus vertraut, lernte 1955 den im Exil weilenden kubanischen Rebellen Fidel Castro kennen und schloss sich ihm an. Als zweiter Mann hinter Castro führte er die erfolgreiche Revolution an und wurde 1959 Industrieminister.

Auch weil er mit Castro später politisch nicht mehr ganz übereinstimmte, tauchte er 1965 unter und kämpfte als Guerrillero im Kongo und Bolivien, wo er am 10. Oktober 1967 von bolivianischen Militärs erschossen wurde.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.06.2008)

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