Alles halb so wild mit Shakespeares netten Schlampen

(c) AP (Stephan Trierenberg)
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„Die Lears“ im Wiener Brut-Künstlerhaus-Theater: Barbara Webers schrille Soap gefällt.

Fünf Mal hintereinander werde gegen Ende des „King Lear“ in einem Monolog das Wort „niemals“ gesprochen. Selbst für einen Nihilisten ist das eine ganze Menge, heißt es altklug vor dem Finale in Barbara Webers Inszenierung von „Die Lears“. Mit dem Nichts hat die Schweizer Regisseurin kein Problem. Es ist bei ihr ein Wort ohne tieferen Sinn. Zwar drohen die Schauspieler anfangs damit, dass jetzt mindestens dreieinhalb Stunden schwärzester Tragödie folgen.

Es werden aber nur 90 Minuten Geblödel auf hohem komödiantischen Niveau, das in diverse Mikros gehaucht und gebrüllt wird. „Lear“ ist zur Soap verkommen, zur Familienaufstellung für die frühe Midlife-Crisis. Alle vier Darsteller dürfen im Verlauf des Abends den senilen Patriarchen oder eine seiner drei Töchter spielen. Sie machen das sehr gut.

Sebastian Rudolph ist anfangs der Lear, der laut Shakespeare sein Reich leichtfertig an die zwei berechnenden Töchter Goneril (Anne Ratte-Polle) und Regan (Yvon Jansen) verschenkt, während die schweigend liebende jüngste Tochter Cordelia (Rahel Hubacher) leer ausgeht. Bei Weber aber sind alle drei Gören verzogen, sie sprechen sich gelegentlich auch mit den richtigen Vornamen an; dann schwingt auch immer ein wenig mit, dass sie väterliche Missbrauchsopfer sind – affektiert Anne im lila Fetzen, fordernd Yvon im glitzernden Etuikleid, am raffiniertesten aber Rahel als Lolita im rosa Petticoat. Ihr Freund Michi (Michael Havas ist für die Musik zuständig), mit dem sie so nebenbei eine Beziehungskrise durchlebt, rät ihr, Lear anzulügen, der zahle schließlich für alles.

Professionell gemachter Klamauk

Dieser Lear ist von Anfang an lächerlich in seiner glänzend gelben Hose und einem Mantel aus Stofftieren. Die Bärlis und Hasis werden von ihm gefoltert, einem Tierlein reißt er sogar den Kopf ab. Das ist so grausam komisch wie die Augenausstech-Szene mit dem armen Gloucester. Als völlig verdreht bezeichnen sich die Stofftiere denn auch in einem Epilog, nachdem alle stranguliert und gemeuchelt sind.

Die uralte Tragödie wirkt wie professionelles Kasperltheater. Das signalisiert schon das Bühnenbild (Janina Audick) mit beigem Teppichboden, rundem schwarzen Lacktisch, violett bespannten Stühlen, einem Kamin als Therapieecke auf der Vorbühne, einer Combo mit Schlagzeug, Orgel und Gitarren auf der hinteren Bühne: Alles halb so wild! Wir wollen nur spielen! So wird gelegentlich nach Onkel Luc gerufen, der sich im Publikum befinden soll, wird das Publikum um Rat gefragt. Man lebt vom Klamauk.

Diese Nacht werde alle in Narren und Wahnsinnige verwandeln, heißt es bei Shakespeare. Bei Weber variiert eine Miss Shakespeare den Vers. Versal geschrieben bleibt davon „HOT SLUTS“ übrig. Wenn man das akzeptiert hat, genießt man einen Abend voller Spiellust, mit exzellenten Darstellern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.06.2008)

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