"Karl V.": Hitler-Soldaten an Karls Sterbebett

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Bregenzer Festspiele. Ernst Kreneks Zwölfton-Oper „Karl V.“ in Lehrstück-Manier.

Als Jahrhundertkomponist wird Ernst Krenek oft apostrophiert. Zu Recht. Nirgendwo sonst spiegeln sich im Werk eines Komponisten so gut wie alle Stile seiner Zeit wider. So ist es verdienstvoll, dass die Bregenzer Festspiele einen ganzen Krenek-Schwerpunkt bieten (siehe Kasten unten). Er begann mit „KarlV.“, der von der Wiener Staatsoper in Auftrag gegebenen, zwischen 1931 und 1933 entstandenen, höchst politischen Oper, die erst in den Achtzigerjahren den Weg ins Wiener Haus am Ring fand, nachdem seinerzeit politische Intrigen die geplante Wiener Uraufführung verhindert hatten.

Als „hochernste Auseinandersetzung mit Glaube und Wissen, Freiheit und Schicksal, geschrieben in einer klangsinnlichen Zwölfton-Technik“ charakterisiert Kreneks Witwe Gladys die erste durchgängige Zwölfton-Oper der Musikgeschichte. Von der musikalischen Vielfalt hat sich auch der Regisseur dieser nur vier Mal (!) gezeigten Neuproduktion im Bregenzer Festspielhaus, der designierte Kölner Opernintendant Uwe Eric Laufenberg, zu seiner zwischen schulmeisterlichen Strenge und effektheischendem Tumult gekonnt changierenden Inszenierung inspirieren lassen. Weniger konnte er mit dem ebenfalls von Krenek verfassten Text anfangen, den er schlicht „volkshochschulhaft“ findet. Tatsächlich mutet das Libretto in vielen Passagen zu theoretisch an, um unmittelbar zu packen oder zu berühren.

Dennoch verlegt Laufenberg die originale Szenerie, das Kloster San Jeronimo de Yuste, wohin sich Karl, der seiner Krone, damit seiner Macht entsagte, zurückgezogen hat, um vor seinem Lebensende persönliche Bilanz in einem Beichtgespräch zu ziehen, in eine Schule (Bühnenbild: Gisbert Jäkel). Am Schluss der Aufführung findet man sich wieder in diesem Schulklassenambiente mit Kästen, die an Beichtstühle erinnern, ohne dass damit diese Ortswahl schlüssiger erscheint. Es sei denn, Laufenberg beabsichtigte, den Lehrstückcharakter des Stücks plakativ hervorheben. Wozu es freilich nicht notwendig gewesen wäre, die einleitende Schulstunde mit unkonzentrierten, Papierflieger durch den Raum werfenden Schülern klamaukhaft zu überfrachten.

Kaum steckt Karl inmitten seiner Lebensbeichte, hebt sich die Tafel: Projektionen illustrieren seine jeweiligen, ihm scheinbar aufgepfropften Situationen. Dass dabei zahlreiche Bilder der Dreißigerjahre und Reminiszenzen an die Gräuel des Hitler-Regimes auftauchen, kommt nicht unerwartet: Schon der „Lehrer“ Karl V. und seine Schüler präsentieren sich in der Kleidung der Entstehungszeit der Oper (Kostüme: Antje Sternberg).

In die Zwischenkriegszeit verlegt

In diese hat Laufenberg die Handlung verlegt, weil sich für ihn vieles aus dem privaten und politischen Leben Karls V. Mitte der Dreißigerjahre wiederholt. Geschmackloser, durch die Partitur schwerlich begründbarer Regie-Zutaten, wie der Vergewaltigung Eleonores durch hochrangige Hitler-Militärs an Karls Sterbebett, hätte es allerdings nicht bedurft. Billiger Voyeurismus ist nicht einmal ansatzweise ein Anliegen dieses Stücks, das kaum auf die politischen Umstände der Zwischenkriegszeit gemünzt ist, sich vielmehr als allgemeine Kritik an fehlender persönlicher Courage und politischer wie gesellschaftlicher Verfehlungen versteht. Das Hereinholen in die unmittelbarere Vergangenheit schafft zwar Nähe – führt aber von der historischen Persönlichkeit Karls V. weg, macht den Beschauer eher neugierig auf die nächste spektakuläre Aktion als auf die höchst intellektuell erdachte, in ihren Klangfarben feinsinnig gewobene Musik.

Zu wenig klar artikulierter Chor

Die ließe sich ungleich schärfer konturieren, als es der zu sehr auf Verbindlichkeit setzende Lothar Koenigs am Pult der abermals hochkonzentrierten und bestens auf ihre komplizierte Aufgabe vorbereiteten Wiener Symphoniker tat. Auch die Idee, für den Chorpart ein Sängerensemble der Stadt Katowice zu engagieren, erwies sich als wenig glücklich. Gerade ein Werk, das gleichermaßen auf Sprache und Musik setzt, verlangt nach weitaus klarerer Artikulation und Wortdeutlichkeit, als man sie hier hörte.

Fabelhaft, sieht man von einer kleineren Irritation vor der Pause ab, ist Dietrich Henschel als Karl V. Gewiss ließe sich dieser Part auch mit einem in den Bassregionen profunderen Darsteller besetzen. Aber Henschel überzeugte mit einer Darstellung, die auf Fragilität setzte, damit das Selbstzweiflerische Karls V. in den Mittelpunkt rückte.

Szenisch wie musikalisch ausgezeichnet ist die aus Deutschland stammende, in Spanien ausgebildete, Wortdeutlichkeit und Bühnenpräsenz vereinende Nicola Beller Carbone als Karls Schwester Eleonore. Rollendeckend Matthias Klink als ihr Gatte Franz I.; untadelig die zentralen Sprechrollen: Moritz Führmann als Juan de Regla, Ludwig Boettger als Moritz von Sachsen, Christoph Homberger als Papst Clemens VII. und als gequält stotternder Francisco Borgia; durchschnittlich bis bemüht die übrigen, sich gleichwohl unprätentiös ins Geschehen fügenden Protagonisten.

KRENEK-SCHWERPUNKT

„Kehraus um St.Stephan“, die 1990, knapp vor Kreneks Tod, im Wiener Ronacher uraufgeführte Satire, hat am 30.Juli im Theater am Kornmarkt Premiere, 2009 wird sie von der Wiener Volksoper übernommen.

Orchesterkonzerte: Kreneks zwei Violinkonzerte (4. und 10.8.) und sein von Tanzformen inspiriertes „Potpourri“ (28.7.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.07.2008)

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